Bitef

in Anbetracht«; er handelt vom Menschen, der kleiner wird vom abmagernden Menschen. Nicht nur das Abmagern sei wichtig dabei, sondern auch das Kleinerwerden. Diese beiden Punkte bilden den Inhalt der Unterabschnitte des zweiten Teiles. Der dritte Abschnitt hat zum Thema »die Erde gut för die Steine« und beginnt mit »wenn man andererseits dabei bedenkt «. Beckett ist in seinen Erklärungen sehr um Deutlichkeit bemüht, wiederholt einzelne Gedanken, akzentuiert mit kurzen Bewegungen der Hand, während wir die entsprechenden Stellen im Tex suchen und markieren. Herrn möchte wissen, wie es denn am Ende des Monologs sei. Beckett erklärt, daß die verschiedenen Elemente, die zu den ersten drei Teilen gehören, hier wiederkämen. Er vergleicht es mit einer Kadenz in der Musik: Die Fäden und Themen werden zusammengefaßt. Das Thema des Monologs sei es, unter einem unbeteiligten Himmel auf einer unmöglichen Erde kleiner zu werden. Herrn beginnt den Text zu lesen. Beckett unterbricht, um eine Textänderung anzugeben. Statt »von der anthropopopopometrischen Akakakakademie« sollte es »von der Akakakakademie der Anthropopopopometrie« heißen. Die Umstellung habe lediglich musikalische Gründe. Herrn wiederholt die Stelle mehrfach. Beckett insistiert auf genauem rhythmischem Lesen, er liest jede Silbe mit, unterstreicht sie mit einer Handbewegung. Herrn liest weiter. Beckett unterbricht wieder, das heißt, er fängt an, den Text mitzusprechen: ».. . daß der Mensch im Gegensatz zu der entgegengesetzten Meinung daß der Mensch in Burg am Berg von Testu und Conard daß der Mensch endlich kurz daß der Mensch in Kürze endlich trotz der Fortschritte der Ernährung und der Abschaffung des Stuhlgangs im Begriff ist abzumagern . . . « Er akzentuiert das Wort, Mensch’, in dem er das ’sch’ zu einem langen Zischlaut dehnt. »Abzumagern«, das sei der Höhepunkt. Im nächsten Abschnitt hebt er wieder hervor, »gut für die Steine« sei die Hauptsache. Die Erde sei nur gut für die Steine. Herrn: »Ich habe die Begriffe am Anfang nach geschlagen: Apathie, Athambie und Aphasie. Gleichgültigkeit, Unerschrockenheit und Sprachlosigkeit.« Ja, das sei richtig. Es gehe um einen Gott, der sich nach allen Richtungen gleichzeitig wendet. Lucky wolle Quaquaquaquaversalis sagen, er bringe es aber nicht raus. Er sage nur kwakwakwa. Herrn; »Ich habe mal nachgeschlagen, wer die Namen sind. Petermann, das ist in Karthograph.« Es gehe um Steine, um eine Steinwelt. Herrn: »Petermann existiert«. Daran habe er gar nicht gedacht, meint Beckett. Und Steinweg, der Name bedeute nichts. Herrn: »Beicher, das war ein Seefahrer . ..« Beckett unterbricht aufgeregt-amüsiert : Nein, nein, Beicher, das sei das Gegenteil von Fartov, im Englischen to fart, das heiße furzen. To belch, das heiße rülpsen. Fartov, der Rülpser. Mit einem Schlage ist der Mystizismus um die Beckettschen Namen ad absurdum geführt. Beckett kommt noch einmal auf die Begriffe zurück, auf die es ihm ankommt. Er skandiert »im Begriff ist ab-zu-ma-gern«: das seien für Herrn zugleich Ruhepunkte

im Monolog, Beckett macht mit dem Finger eine prophetische und drohende Geste : »im Begriff ist abzumagern « ... Das sei für die unten im Saal eine Verwirrung; aber auf einmal sei an der Stelle alles sehr klar-jedoch nur für Lucky. Das Denken von Lucky sei nicht mehr, was es früher war, sagt Pozzo, und: »Früher dachte er recht hübsch«. Herrn könne das sogar so spielen, daß er Pozzo von Zeit zu Zeit beobachte. Und die beiden andern auch. Er rede nicht einfach vor sich hin, er sei nicht ganz für sich allein. Herrn : »Er druckst doch aber erst, möchte nicht denken ...« Er möchte Pozzo Vergnügen machen, meint Beckett. Pozzo möchte ihn loswerden. Wenn Lucky Pozzo rühre, werde er ihn vielleicht behalten. Lucky möchte Erfolg haben. Herm: »Einmal guckt er Estragon lange an. Was wollen Sie sagen mit dem langen Blick?« Das sei en Blick, den man nicht mit zwei Worten erklären könne. Da sei sehr vieles in dem Blick. Natürlich wolle Lucky den Knochen haben. Estragon auch. Das sei ein Zusammenkommen von zwei armen Menschen. Herrn: »Sowas wie Solidarität, wäre das drin?« Ja da seien soviele Sachen in seinem Hirn: das Erkennen der Situation des anderen, das sei da sehr wichtig. Aber auch etwas Stolz, daß er frei sei, auf die Knochen zu verzichten, im Gegensatz zu Estragon. Aber Lucky vergesse auch nicht. Der Fußtritt sei, wenn man so wolle, Luckys Rache dafür, daß Estragon ihm den Knochen weggenommen habe. Beckett geht weiter auf das Stück ein. Man müsse es ganz einfach machen, ohne Längen. Der Konfusion eine Gestalt geben, meint er. Eine Gestalt durch Wiederholungen, Wiederholungen von Themen. Nicht nur Themen des Textes, sondern auch Themen des Körpers. Wenn Estragon schläft, am Anfang auf dem Stein, so sei das ein Thema, das immer wiederkomme. Es werden Wartestellen festgelegt, in denen alles ganz still steht. Das Schweigen droht da alles zu verschlingen. Dann geht das Spiel wieder los. Wigger: »Trotzdem ist es zwischendurch ein ganz heiteres Spiel.« Ja, natürlich, sagt Beckett ; das müsse aber sehr genau gemacht werden. Das Aus einander gehen von Wladimir und Estragon sei ein Punkt: die seien eigentlich untrennbar. Wigger : »Sie müssen wie ein Gummiband immer wieder Zusammenkommen.« Das Prinzip: sipe müßten schritweise Zusammenkommen. Beckett geht auf die Bühne, den Blick gesenkt, und spielt vor, indem er Estragons Text spricht: »Hattest du mir was zu sagen ... bist du böse ... Verzeih ... hör mal, Didi, gib mir die Hand. ..« Er geht mit jedem Satz einen Schritt auf den imaginären Partner zu. Immer einen Schritt, und dann den Satz. Beckett nennt es eine schrittweise Annäherung, ein körperliches Thema, das fünf-, sechs-, siebenmal vorkomme und ganz genau gemacht werden müsse. Das die ballettische Seite der Geschichte. Lucky falle zweimal hin, das dürfe aber nicht realistisch gemacht werden, sondern ganz sauber. Wigger: »Heißt das, daß jeder Naturalismus rausgeht?« Beckett macht es vor: er geht auf die Knie und läßt sich, die Arme erst nach oben, dann vorgestreckt, auf den Boden gleiten. Wigger: »Aber wie verhindert man, daß dabei das Menschliche