Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1
Gorilla: Winwood Reades Mitteilung. 65
allen vieren auf mich zu, ergriff meine Hand am Gelenke, zog ſie zu ſeinem Munde, biß hinein und lief davon. So‘, ſagte er, „hat der Gorilla mit mir gethan.“ Durch ſolche einfache Zeugen gelangt man unter den Negern am erſten zur Wahrheit. Der Leopard gilt allgemein für ein wilderes und gefährlicheres Tier als der Gorilla. Auch der Schimpanſe greift, wenn er angefallen wird, einen Menſchen an; dasſelbe thut der Drang-Utan, dasſelbe thun in der That alle Tiere vom Elefanten bis zu den Kerbtieren herunter. Fh fann alſo keinen Grund zu der Annahme finden, daß der Gorilla wilder und mehr geneigt zum Angriffe auf einen Menſchen ſei als andere Tiere, welche wie unſer Affe bedächtig und furhtſam ſind, und welche ihre ausgezeichnete Befähigung im Riechen und Hören ſich zu nuße machen, um vor dem Menſchen zu entfliehen.
„Ju meiner beſcheidenen Eigenſchaft als ein bloßer Sammler von Thatſachen wünſche ih nichts weiter, als zu der Wahrheit zu gelangen. Meine Angaben unterſcheiden ſih von denen meiner Vorgänger, und ih muß frei zugeſtehen, daß für die eine wie für die andere Seite gleiche Berechtigung vorliegt. Alle Neger ſind geneigt, eher zu übertreiben als zu unterſchäßen. Jh habe eine größere Anzahl von Zeugen befragt als vielleicht Wilſon, Savage und Ford zuſammen und, nachdem die Frage einmal wichtig geworden war, doppelte Vorſicht bei meinen Unterſuchungen angewendet; aber jene hatten ihrerſeits großen Vorteil über mich, weil ſie die Sprache der Eingeborenen kannten und keiner Dolmetſchen bedurften, auh beſſer mit dem Weſen der Eingeborenen vertraut waren als ih. Den bezüglihen Wert unſerer Mitteilungen vermag ih alſo nicht beſtimmt abzuſchäßen, ſchon weil ih niht weiß, von welhem Stamme jene ihre Nachrichten erhalten haben. Das, was ih aus perſönliher Anſhauung verſichern kann, iſt folgendes: Jh habe die Neſter des Gorillas geſehen und beſchrieben, bin jedo<h niht im ſtande, beſtimmt zu ſagen, ob ſie als Betten oder nur als zeitweilige Lager benußt werden. Fh habe ebenſo wiederholt die Fährte des Gorillas gefunden und darf deshalb behaupten, daß der Affe gewöhnlich auf allen vieren läuft. Niemals habe ih mehr Fährten geſehen als von zwei Gorillas zuſammen. Auch habe ih einen jungen Gorilla und einen jungen Schimpanſen in gefangenem Zuſtande beobachtet und darf verſichern, daß beide glei gelehrig ſind. Endlich kann ih behaupten, daß der Gorilla wenigſtens zuweilen vor dem Menſchen flüchtet; denn ih war nahe genug, um zu hören, daß einer von mir weglief.
„Von den vielen Erzählungen über den Gorilla, welche mir mitgeteilt wurden, habe ih alle niht genug beglaubigten weggelaſſen. Eine von dieſen berichtet z. B., daß zuweilen eine Gorillafamilie einen Baum erklettere und ſih an einer gewiſſen Frucht toll und voll freſſe, während der alte Vater unten am Fuße des Baumes verbleibe. „Kannſt du‘ - ſagen die Eingeborenen, „nahe genug herankommen, um ihn zu erlegen, ſo kannſt du auh den Reſt der Familie töten.“ Die zweite Geſchichte iſt die, welche von allen großen Affen berichtet wird: daß ſie Frauen mit ſih nehmen. Man wird jedo< berechtigt ſein, Zweifel zu hegen, wenn erzählt wird, daß eine Frau in die Wälder geſchleppt und halbwild unter den Affen gelebt habe.“
Winwood Reade ſchließt ſeine Mitteilungen mit der Bemerkung, daß er niht im ſtande geweſen ſei, etwas zu erfahren, worin der Gorilla vom Schimpanſen weſentlich ſih unterſcheide. Beide Tiere bauen Neſter, beide gehen auf allen vieren, beide greifen in ähnlicher Weiſe an, beide vereinigen ſih, obſchon ſie durhaus nicht geſellig ſind, zuweilen in größerer Anzahl 2c. „Ein weißer Mann hat bis jeßt weder einen Gorilla noh einen Schimpanſen erlegt. Die Vorſicht der Tiere, die Ungewißheit ihres Aufenthaltes, die Eiferſucht der eingeborenen Fäger ſtempelt eine derartige Jagd zu einem ſehr ſhwierigen Unternehmen.“
Seitdem Neade, unſtreitig der gewiſſenhaſteſte Berichterſtatter, das Vorſtehende mitgeteilt hat, iſt unſere Kenntnis über den Gorilla weſentlih vermehrt worden. Zweimal
Brehm, Tierleben. 83. Auflage. LT. fs)