Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1
86 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: Shmalnaſen (Menſchenaffen).
Erfahrungen zwe>entſprehend auf ihm neue Verhältniſſe zu übertragen. Er iſt liſtig, ſogar verſhmißzt, eigenwillig, jedo<h niht ſtörriſh; er verlangt, was ihm zukommt, ohne rechthaberiſ< zu ſein, bekundet Launen und Stimmungen, iſt heute luſtig und aufgeräumt, morgen traurig und mürriſh. Er unterhält ſih in dieſer und langweilt ſih in jener Geſellſchaft, geht auf paſſende Scherze ein und weiſt unpaſſende von ſi<h. Seine Gefühle drückt er aus wie der Menſch. Fn heiterer Stimmung lacht ex freilich niht, aber er {hmunzelt doh wenigſtens, d. h. verzieht ſein Geſicht und nimmt den unverkennbaren Ausdru> der Heiterkeit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er ganz in derſelben Weiſe wie ein Menſch, nicht allein dur< ſeine Mienen, ſondern au<h durch klägliche Laute, welche jedermann verſtehen muß, weil ſie menſchlichen mindeſtens in demſelben Grade ähneln wie tieriſhen. Wohlwollen erwidert er dur< die gleiche Geſinnung, Übelwollen womöglich in eben derſelben Weiſe. Bei Kränkungen gebärdet er ſih wie ein Verzweifelter, wirft ſich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt ſein Geſicht, ſhlägt mit Händen und Füßen um ſi, kreiſcht und rauft ſi<h ſein Haar. Andere Affen bekunden ähnliche Geiſtesfähigkeiten; beim Schimpanſen aber erſcheint jede Äußerung des Geiſtes klarer, verſtändlicher, weil ſie dem, was wir beim Menſchen ſehen, entſchieden ähnlicher iſt als die Verſtandesäußerung jener Tiere. :
Der Schimpanſe, welcher, während ih dieſe Zeilen in die ſ<nellläufige Feder des Eilſchreibers fließen laſſe, in meinem Zimmer umhergeht und ſih na< Herzensluſt unterhält, langte in der traurigſten Verfaſſung an. Er war ermüdet und ermattet von der Neiſe, krank und leibli<h und geiſtig herabgekommen. Jn dieſer Lage verlangte er die ſorgſamſte Pflege, eine ſolhe, wie man ſie einem kranken Kinde angedeihen läßt, und erhielt dieſe und eine trefflihe Erziehung durch einen der ausgezeihnetſten Tierpfleger, meinen alten Freund Seidel, in der freundlihſten Weiſe. Kein Wunder, daß er an dieſem Manne hängt wie ein Kind an ſeiner Mutter, daß er ſih ſeinen Wünſchen fügt und in überraſchend kurzer Zeit zu dem folgſamſten Pfleglinge unter der Sonne geworden iſt. Namentlich ſeitdem ex ſeine Krankheit vollſtändig überwunden hat, zeigt er ſi<h als ein ganz anderes Geſchöpf als vorher. Er iſt rege und thätig ohne Unterlaß, vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend, ſucht ſi< ununterbrochen mit irgend etwas zu. beſchäftigen, und ſollte er au<h nur mit ſeinen Händen klatſhend auf ſeine Fußſohlen klopfen, ganz ſo wie Kinder es ebenfalls zu thun pflegen. So ungeſchi>t ex zu ſein ſcheint, wenn er geht, ſo gewandt und behend iſt er wirklih und zwar bei jeder Bewegung. Jn der Regel geht er in der ſämtlichen Menſchenaffen eigenen Weiſe auf allen vieren und zwar mit ſchiefer Nichtung ſeines Leibes, indem er ſi<h mit den Händen auf die eingeſ<lagenen Knöchel ſtüßt und entweder ein Hinterbein zwiſchen den Vorderarmen und eins außerhalb derſelben ſeßt oder beide Hinterbeine zwiſchen die Vorderarme ſchiebt. Trägt er jedo<h etwas, ſo richtet er ſi faſt zu voller Höhe auf, ſtüßt ſi< nur mit einer Hand auf den Boden und bewegt ſich dann eigentlich ebenſo geſchi>t als ſonſt. Wirklich aufre<t, alſo nur auf beiden Beinen allein, ohne’ fich mit einem Arme zu ſtützen, geht er bloß dann, wenn er in beſondere Erregung gerät, beiſpiel8weiſe wenn er glaubt, daß ſich ſein Pfleger von ihm entfernen wolle, ohne ihn mitzunehmen. Bei dieſer Bewegung hält er die im Armgelenke gebogenen Hände ſeitlih vom Kopfe ab nach oben, um das Gleichgewicht herzuſtellen. Der Gang auf allen vieren ſieht äußerſt holperig aus, fördert aber verhältnismäßig raſh genug und jedenfalls mehr, als ein Menſch zu laufen im ſtande iſt. Eigentliche Beweglichkeit und Behendigkeit entfaltet er aber do< nur im Klettern, und hierin unterſcheidet er ſi, wie wahrſcheinlich alle übrigen Menſchenaffen, weſentlih von ſeinen Ordnungs verwandten. Er klettert nah Art eines Menſchen, nicht na< Art eines Tieres, und turnt in der ausgezeihhnetſten Weiſe. Mit ſeinen Armen ergreift ex einen Aft oder ſonſtigen Halt und ſchwingt ſi< nun mit