Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

88 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: Shmalnaſen (Menſchenaffen).

ſein, ſeinen Arm zärtlih um die Schulter des Wohlthäters legt und ihm eine Hand oder echt menſ{<li< au< einen Kuß gibt. Genau dasſelbe thut er, wenn er des Abends aus ſeinem Käfig genommen und auf das Zimmer gebracht wird. Er kennt die Zeit und zeigt ſich ſchon eine Stunde, bevor ex in ſein Zimmer zurügebracht wird, höchſt unruhig. Jn dieſer lezten Stunde darf ſein Pfleger ſich nicht entfernen, ohne daß er in ausdru>svolles Klagen ausbriht oder auh wohl verzweifelnd ſih gebärdet, indem er ſich, wie beſchrieben, auf den Boden wirft, mit Händen und Füßen ſtrampelt und ein unerträgliches Kreiſchen ausſ\tößt. Dabei beachtet er die Richtung, in welcher ſein Pfleger ſih bewegt, genau und bricht nur daun in Klagen aus, wenn er meint, daß jener ihn verlaſſen wolle. Wird er getragen, ſo ſeßt er ſih wie ein Kind auf den Arm ſeines Pflegers, ſchmiegt den Kopf an deſſen Bruſt und ſcheint ſi<h außerordentli<h behaglih zu fühlen. Von nun an hat er anſcheinend bloß den einen Gedanken, ſobald als möglih auf ſein Zimmer zu kommen, ſeßt ſich hier auf das Sofa und betrachtet ſeinen Freund mit treuherzigem Bli>ke, gleichſam als wolle er in deſſen Geſichte leſen, ob dieſer ihm heute abend wohl Geſellſchaft leiſten oder ihn allein laſſen werde. Wenn er das erſtere glaubt, fühlt er fich glü>li<h, wogegen er, wenn er das Gegenteil merkt, ſehr unglü>li< ſi<h gebärdet, ein betrübtes Geſicht ſchneidet, die Lippen weit vorſtößt, jammernd aufſchreit, an dem Pfleger emporklettert und krampfhaft an ihm ſi< feſthält. Fn ſolcher Stimmung hilft auch freundliches Zureden wenig, während dieſes fonſt die vollſtändigſte Wirkung auf ihn äußert, ebenſo wie er ſich ergriffen zeigt, wenn er ausgeſcholten wurde. Man darf wohl ſagen, daß er die an ihn gerichteten Worte vollſtändig verſteht; denn er befolgt ohne Zögern die verſchiedenſten Befehle und beachtet alle ihm zufommenden Gebote; doh gehor<ht er eigentli<h nur ſeinem Pfleger, niht aber Fremden, am wenigſten, wenn dieſe ſi<h herausnehmen, in Gegenwart ſeines Freundes etwas von ihm zu verlangen.

Im hohen Grade anziehend benimmt er ſi< Kindern gegenüber. Er iſt an und für ſich durchaus nicht bösartig oder gar heimtüdiſ<h und behandelt eigentlich jedermann freundlih und zuvorkommend, Kinder aber mit beſonderer Zärtlichkeit, und dies um ſo mehr, je kleiner ſie ſind. Mädchen bevorzugt er Knaben, aus dem einfachen Grunde, weil lebtere es ſelten unterlaſſen können, ihn zu ne>en; und wenn er au<h auf ſolhe Scherze gern eingeht, ſcheint es ihn do< zu ärgern, von ſo kleinen Perſönlichkeiten ſih gefoppt zu ſehen. Als ex zum erſtenmal meinem ſe<swöcentli<hen Töchterchen gezeigt wurde, betrachtete er zunächſt das Kind mit ſihtlihem Erſtaunen, als ob er ſih über deſſen Menſchentum vergewiſſern müſſe, berührte hierauf das Geſicht überaus zart mit einem Finger und reichte ſhließli<h freundlih die. Hand hin. Dieſer Charakterzug, welchen ih bei allen von mir gepflegten Schimpanſen beobachtet habe, verdient beſonders deshalb hervorgehoben zu werden, weil er zu beweiſen ſcheint, daß unſer Menſchenaffe auch im kleinſten Kinde immer no< den höher ſtehenden Menſchen ſieht und anerkennt. Gegen ſeinesgleichen benimmt er ſi keineswegs ebenſo freundlih. Ein junges Schimpanſeweibchen, welches ih früher pflegte, zeigte, als i< ihm ein junges Männchen ſeiner Art beigeſellte, keine Teilnahme, kein Gefühl von Freude oder Freundſchaft für dieſes, behandelte das ſhwächere Männchen im Gegenteile mit entſchiedener Roheit, verſuchte es zu ſchlagen, zu kneipen, überhaupt zu mißhandeln, ſo daß beide getrennt werden mußten. Ein ſolches Betragen hat ſi< keiner der von mir gepflegten Schimpanſen gegen Menſchenkinder zu ſchulden kommen laſſen.

Abweichend von anderen Affenarten iſt er munter bis in die ſpäte Naht, mindeſtens ſo lange, als das Zimmer beleuchtet wird. Das Abendbrot ſ<me>t ihm am beſten, und er fann deshalb nach ſeiner Ankunft im Zimmer kaum erwarten, daß die Wirtſchafterin ihm den Thee bringt. Erſcheint dieſelbe nicht, ſo geht er zur Thüre und klopft laut an dieſe an; fommt jene, ſo begrüßt er ſie mit freudigem „Oh! Oh!“, bietet ihr auh wohl die Hand.