Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1

92 Erſte Ordnung: Affen; erſte Familie: Schmalnaſen (Menſchenaffen).

darauf und lud das Männchen durch Gebärden ein, es ſih bequem zu machen. Ein reizendes Vild iſt nun unter anderem, wenn dieſes Paar am Tiſche bei der Mahlzeit ſich gegenüberſißt. Beide genießen ihren Brei mit dem Löffel und ohne den geringſten Futterneid. Wenn die Trinkgefäße aufgeſtellt werden, hat das Weibchen die Eigenheit, den Becher des Männchens behutſam an ſi heranzuziehen, trinkt daraus und ſtellt ſolchen ebenſo ruhig an ſeinen Plaß — der Mann ſoll eben nicht ſoviel trinken. Auch dieſe beiden Tiere bekunden ihre Freude beim Spiel durch herzliches Lachen.“

Von den afrikaniſchen Menſchenaffen unterſcheidet ſich der wichtigſte aſiatiſche, welher Orang-Utan (Waldmenſch), fälſhli<h Drang-Utang, auf Borneo aber Meias oder Majas genannt wird (Pithecus satyrus, Simia satyrus) dur die bedeutend längeren Arme, welche bis zu den Knöcheln der Füße herabreichen, und dur den kegel- oder pyramidenförmig zugeſpißten Kopf mit weit vorſtehender Schnauze, hat auh nur zwölf rippentragende Wirbel. Solange er jung iſt, gleicht ſein Schädel dem eines Menſchenkindes in hohem Grade; mit dem zunehmenden Alter aber tritt das Tieriſche auch bei ihm derartig hervor, daß der Schädel nur no< entfernt an den des jungen Affen erinnert.

Der größte männliche Drang-Utan, welchen Wallace erlegte, wax im Stehen 1,35 m hoch, Élafterte aber mit ausgeſtre>ten Armen 2,4 m; das Geſicht wax 35 cm breit; der Umfang des Leibes betrug 1,15 m. Der Leib, an welchem der Bauch ſtark hervortritt, iſt an den Hüften breit, der Hals furz und vorn faltig, weil das Tier einen großen Kehlſack beſit, welcher aufgeblaſen werden kann; die langen Gliedmaßen haben auh lange Hände und Finger. Die platten Nägel fehlen häufig den Daumen der Hinterhände. Die Lippen ſind unſchön, weil nicht allein gerunzelt, ſondern auch ſtark angeſchwollen und aufgetrieben; die Naſe iſt ganz flah gedrü>t, und die Naſenſcheidewand verlängert ſich über die Naſenflügel hinaus; Augen und Ohren ſind klein, aber denen des Menſchen ähnlich gebildet. Jn dem furchtbaren Gebiſſe treten die Ezähne ſtark hervor; der Unterkiefer iſt länger als der Oberkiefer. Die Behaarung iſt ſpärlih auf dem Rücken und ſehr dünn auf der Bruſt, um jo länger und reichlicher aber an den Seiten des Leibes wo ſie lang herabfällt. Fm Gefichte entwidelt ſie ſich bartähnlich; auf den Oberlippen und am Kinne, am Schädel und auf den Unterarmen iſt ſie aufwärts, ſonſt abwärts gerichtet. Geſicht und Handflächen ſind na>t, Bruſt und Dberſeiten der Finger faſt gänzlih na>t. Gewöhnlich iſt die Färbung der Haare ein dunfles Noſtrot, ſeltener ein Braunrot, welches auf dem Rücen und auf der Bruſt dunkler, am Barte aber heller wird. Die na>ten Teile ſehen bläulich- oder ſchiefergrau aus. Alte Männchen unterſcheiden ſi<h von den Weibchen durch ihre bedeutende Größe, dichteres und längeres Haar, reihli<heren Bart und eigentümlihe Schwielen oder Hautlappen an den Wangen, welche ſi< halbmondförmig von den Augen an nah den Ohren hin und zum Oberkiefer herabziehen und das Geſicht auffallend verhäßlichen. Die jüngeren Tiere ſind bartlos ſonſt aber reicher behaart und dunkler gefärbt.

Einige Naturforſcher nehmen mit den Eingeborenen, die nah S. Müller ſogar die Geſchlechter verſchieden benennen, mehrere Arten Drang-Utans an; andere halten die Unterſchiede für ſolche, welche dur< das Alter der Tiere bedingt werden.

Der Orang-Utan iſt ſeit alter Zeit bekannt. Schon Plinius gibt an, daß es auf den indiſchen Bergen Satyxrn gäbe, „ſehr bösartige Tiere mit einem Menſchengeſichte, welche bald aufrecht, bald auf allen vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn ſie alt oder krank ſeien“. Seine Erzählung erbt ſi fort von Fahrxhundert zu Fahrhundert und empfängt von jedem neuen Bearbeiter Zuſäße. Man vergißt