Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/1, str. 153

Orang-Utan: Wallaces Beobachtungen. Verbreitung. Neſtbau. Nahrung. 95

zu erklimmen, Früchte und junge Blätter von dünnen Zweigen, welche ſein Gewicht nicht aushalten würden, zu pflücken und Blätter und Äſte zu ſammeln, um ſih ein Neſt zu bauen.“ Ein von unſerem Forſcher verwundeter Drang-Utan zeigte ſeinem Verfolger, in welher Weiſe der Bau ſolches Neſtes geſchieht. „Sobald ih geſchoſſen hatte“, erzählt Wallace, „kletterte der Meias höher im Wipfel des Baumes hinauf und hatte bald die höchſten Spißen desſelben erreiht. Hier begann er ſofort ringsherum Zweige abzubrechen und ſie kreuz und quer zu legen. Der Ort war trefflich gewählt. Außerordentlih ſchnell griff er mit ſeinem einzigen noh unverwundeten Arme nach jeder Richtung hin, brach mit der größten Leichtigkeit ſtarke Äſte ab und legte ſie rückwärts quer übereinander, ſo daß er in wenigen Minuten eine geſchloſſene Maſſe von Laubwerk gebildet hatte, welche ihn meinen Blicken gänzlih entzog. Ein ähnliches Neſt benußt der Meias auch faſt jede Nacht zum Schlafen; doh wird dieſes meiſt niedriger auf einem kleinen Baume angebracht, in der Regel niht höher als 8—15 m über dem Boden, wahrſcheinlih weil es hier weniger den Winden ausgeſeßt iſt als oben. Der Meias ſoll ſih in jeder Nacht ein neues machen; ih halte dies jedo<h deshalb kaum für wahrſheinlih, weil man die Überreſte häufiger finden würde, wenn das der Fall wäre. Die Dajaken ſagen, daß ſih der Affe, wenn es ſehr naß iſt, mit Pandanusblättern oder ſehr großen Farnen bede>t. Das hat vielleicht zu dem Glauben verleitet, daß er ſi< eine Hütte in den Bäumen erbaue.

„Der Orang-Utan verläßt ſein Lager erſt, wenn die Sonne ziemlih hoh ſteht und den Tau auf den Blättern getro>net hat. Er frißt die mittlere Zeit des Tages hindurch, fehrt jedoh ſelten während zweier Tage zu demſelben Baume zurü>. Soviel ih in Erfahrung bringen konnte, nährt er ſih faſt ausſchließlih von Obſt, gelegentlißh auh von Blättern, Knoſpen und jungen Schößlingen. Unreife Früchte zieht er den reifen anſcheinend vor, ißt auch ſehr ſauere oder ſtark bittere. Fnsbeſondere ſcheint ihm die große rote fleiſchige Samende>e einer Frucht vortrefflih zu ſhme>en. Manchmal genießt er nur den kleinen Samen einer großen Frucht und verwüſtet und zerſtört dann weit mehr, als er ißt, ſo daß man unter den Bäumen, auf denen ex geſpeiſt hat, ſtets eine Menge Reſte liegen ſieht. Fn hohem Grade liebt er die Durian und vernichtet eine Menge dieſer köſtlichen Früchte, kreuzt aber niemals Lichtungen, um ſie zu holen. Äußerſt ſelten ſteigt der Orang-Utan auf die Erde herab, wahrſcheinlih nux dann, wenn ex, vom Hunger getrieben, ſaftige Schößlinge am Ufer ſucht, oder wenn er bei ſehr tro>enem Wetter nah Waſſer geht, von welchem er für gewöhnli<h genug in den Höhlungen der Vlätter findet. Nur einmal ſah ih zwei halberwachſene Orangs auf der Erde in einem tro>enen Loche. Sie ſpielten zuſammen, ſtanden aufreht und faßten ſih gegenſeitig an den Armen an. Niemals geht dieſer Affe aufrecht, es ſei denn, daß er ſih mit den Händen an höheren Zweigen feſthalte, oder aber, daß ex angegriffen werde. Abbildungen, welche ihn darſtellen, wie er mit einem Stoke geht, ſind gänzlih aus der Luft gegriffen.

„Vor dem Menſchen ſcheint ſih der Meias nicht ſehr zu fürchten. Diejenigen, welche ih beobachtete, gloßten häufig einige Minuten auf mih herab und entfernten ſi<h dann nur langſam bis zu einem bena<hbarten Baume. Wenn ich einen geſehen hatte, mußte ih ofi 1000 Schritt und weitex gehen, um mein Gewehr zu holen; troßdem fand ih ihn nah meiner Nückehr faſt ſtets auf demſelben Baume oder innerhalb eines Umkreiſes von ein paar hundert Fuß. Niemals ſah ih zwei ganz erwachſene Tiere zuſammen, wohl aber Männchen wie auh Weibchen zuweilen begleitet von halberwahſenen Jungen.

„Die Dajaken ſagen, daß der Meias niemals von Tieren im Walde angefallen wird, mit zwei ſeltenen Ausnahmen. Alle Dajakenhäuptlinge, welche ihr ganzes Leben an Orten zugebra<ht haben, wo das Tier häufig vorkommt, verſicherten: kein Tier ſei ſtark genug, um den Meias zu verleben, und das einzige Geſchöpf, mit dem er überhaupt kämpft, iſt