Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Vierte Ordnung.

Die Raubtiere (Carnivora).

(Fortſeßung.)

Unter den Tieren der Schaubuden finden ſi regelmäßig einige, denen ſi, dank den Erläuterungen des trinkgeldheiſhenden Tierwärters, die beſondere Aufmerkſamkeit der Schauluſtigen zuzuwenden pflegt. Der Erklärer verfehlt nie, diefe Tiere als wahre Scheuſale darzuſtellen, und dichtet ihnen die fürcterlichſten Eigenſchaften an. Mordluſt, Raubgier, Grauſamkeit, Blutdurſt, Hinterliſt und Tücke iſt gewöhnlich das Geringſte, was der Mann ihnen, den Hyänen, zuſchreibt; er lehrt ſie regelmäßig au< noh als Leichenſchänder und Totenausgräber kennen und erwe>t ſicherlih ein gerechtes Entſeßen in den Gemütern aller naturunkundigen Zuſchauer. Die Wiſſenſchaft hat es bis jeßt noch niht vermo<t, ſolchen Unwahrheiten zu ſteuern, ſie haben ſi vielmehr, allen Belehrungen zum Troge, ſeit uralter Zeit friſh und lebendig erhalten.

Es gibt wenige Tiere, deren Kunde mit ſo vielen Fabeln und abenteuerlihen Sagen ausgeſ<müd>t worden wäre wie die Geſchichte der Hyänen. Schon die Alten haben die unglaublihſten Dinge von ihnen erzählt. Man behauptete, daß die Hunde Stimme und Sinne verlören, ſobald ſie der Schatten einer Hyäne träfe; man verſicherte, daß die ſcheußlichen Raubtiere die Stimme eines Menſchen nachahmen ſollten, um ihn herbeizulo>en, dann plößlih zu überfallen und zu ermorden; man glaubte, daß ein und dasſelbe Tier beide Geſ<hle<hter in ſi vereinige, ja ſelbſt nah Belieben das Geſchleht ändern und ſi bald als männliches, bald als weibliches Weſen zeigen könne. „Der Leib“, ſagt der alte Gesner, „iſt ganb ſcheußli<h, voller blauer Fle>en, die Augen ſehen auch ſcheußlih auß, worinnen das Thier die Farbe ohne Unterlaß ändert nach ſeinem Gefallen; Es hat ein ſtarrendes und unbewegliches Genie, gleih wie ein Wolff oder Löwe; Jn ſeinem Kopffe aber wird ein Edel-Stein gefunden, von edler Tugend. Etliche ſchreiben, daß ſeine Augen ſih nac ſeinem Tode in Steine verwandelen. — Vnter allerhand todten Cörpern, ſie ſeyn gleih vom Vieh oder von Menſchen, ſuchen die Viel-Fraſſen oder Grab- Thiere ihre Speiſſe, ſeyn auch ſo begierig na< dem Fleiſhe der Menſchen, daß ſie auch den Gräbern nachgehen ſollen. Bey der Nacht haben ſie ein ſharpffes Geſichte, da ſie doh bey Tag deſſelbigen ſchier beraubet ſind; Sie können mit ihrer Stimme und Koßen der Menſchen Ruffen und Huſten nahahmen, und haben ihr Männ- und Weibliches Geſchlehte, wie Aristoteles berihtet. — Wann er gejaget wird, ſo wendet er ſih gemeiniglih ab auff die rete Seite, und ſiehet daß er in deß Jägers Fußtappen kommen möge, welcher darvon taub, unluſtig, ſteiff und kran> wird: Dann in ſeiner re<ten Tappen hat er eine Èo ſtar>e Krafft entſchlaffend zu machen, daß er

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. 1. 1