Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2
648 __ Achte Ordnung: Zahnarme; erſte Familie: Faultiere,
von Zweig zu Zweig. Fm Verhältniſſe zu den Bewegungen auf dem Erdboden beſißen ſie freilih no< eine ausnehmende Geſchi>lichkeit im Klettern. JFhre langen Arme erlauben ihnen, weit zu greifen, und die gewaltigen Krallen geſtatten ihnen ein müheloſes Feſthalten an den Äſten. Sie klettern allerdings ganz anders als alle übrigen Baumtiere; denn bei ihnen iſt das die Regel, was bei dieſen als Ausnahme erſcheint. Den Leib nach nen hängend, reihen ſie mit ihren langen Armen nach den Äſten empor, haken ſich hier mittels ihrer Krallen feſt und ſchieben ſi< gemähli< weiter von Zweig zu Zweig, von Aſt zu Aſt. Doch erſcheinen ſie träger, als fie thatſähli<h ſind. Als Natttiere bringen ſie freilih ganze Tage zu, ohne ſih zu bewegen; ſhon in der Dämmerung aber werden ſie munter, und na<hts dur<hwandern ſie, langſam zwar, jedo<h niht faul, je nah Bedürfnis ein größeres oder kleineres Gebiet. Sie nähren ſi< aus\ſ<{ließli< von Knoſpen, jungen Trieben und Früchten und finden in dem reihlihen Taue, welchen ſie von den Blättern able>en, hinlänglichen Erſaß für das ihnen fehlende Waſſer. Eine nicht in Abrede zu ſtellende Trägheit bekundet ſi<h au< beim Erwerbe und bei der Aufnahme ihrer Nahrung: ſie ſind genügſam, anſpruchslos und befähigt, tagelang, wie einige behaupten, ſogar wochenlang zu hungern und zu durſten, ohne irgend welchen Schaden davon zu haben. Einen Baum verlaſſen ſie niht, ſolange er ihnen Nahrung gewährt; erſt wenn die Weide knapp wird, denken ſie daran, eine Wanderung anzutreten, ſteigen ſodann langſam zwiſchen die tiefen Zweige hernieder, ſuchen ſi eine Stelle aus, wo das Geäſte der benahbarten Bäume mit dem ihres Weidebaumes ſi verbindet, und haïen ſih auf der luftigen Brücke zu jenem hinüber.
Man hat früher behauptet, daß ſie gewiſſe Baumarten den anderen vorzögen, iſt jedoh in neuerer Zeit hiervon abgekommen, weil man beobachtet zu haben glaubte, daß eigentli jede Baumart ihnen rect iſt. Übrigens würden ſie unbeſchadet ihrer geringen Erwerbsfähigkeit mit ihrer Nahrung wähleriſch ſein dürfen; denn der Reichtum ihrer Heimatsorte an den allerverſchiedenartigſten Pflanzen iſt ſo groß, daß ſie ohne bedeutende Anſtrengung ſi leicht die ihnen le>er erſcheinende Koſt würden ausſuchen können. Fener üppige Waldſaum, welcher ſih in der Nähe der Ströme dahinzieht und ununterbrochen bis tief in das Innere des Landes reicht, beſteht zumeiſt aus Baumarten, deren Kronen ſih aufs Vielfältigſte miteinander verſchlingen und ihnen geſtatten, ohne jemals den Boden berühren zu müſſen, ſi von einer Stelle zu einer anderen zu begeben. Zudem bedürfen ſie bloß ein kleines Weidegebiet; denn ihr geringer Verbrau an Blättern ſteht mit der Erzeugungsthätigkeit jener bevorzugten Länderſtriche gar nicht im Verhältniſſe. Beim Freſſen bedienen ſie ſih gewöhnlich ihrer langen Vorderarme, um entferntere Zweige an ſich zu ziehen und Blätter und Früchte davon mit den Krallen abzureißen; dann führen ſie die Nahrung mit den Vorderpfoten zum Maule. Außerdem erleichtert ihnen ihr langer Hals das Abweiden der Blätter, dur<h welche ſie ſih hindur<hwinden müſſen, ſobald ſie ſi< bewegen. Man ſagt, daß fie auf dichtbelaubten Bäumen viel Nahrung und während der Regenzeit auh viel Waſſer zu ſih nehmen können, und dies würde mit der Stumpfheit ihrer Werkzeuge nicht im Widerſpruche ſtehen; denn dieſe geſtattet ihnen, bis an die äußerſten Grenzen des Überfluſſes und der Entſagung zu gehen. Fe höher ein Tier ausgebildet iſt, um ſo gleihmäßiger vollziehen ſi alle Verrichtungen des Leibes; je tiefer es ſteht, um ſo weniger abhängig iſt es von dem, wa83 wir Bedürfniſſe des Lebens nennen. So können die Faultiere ohne Beſchwerde entbehren und ]hwelgen in dem einzigen Genuſſe, welchen ſie kennen, in der Aufnahme ihrer Nahrung nämlih. Sie, welche ſi ſonſt bloß mit dem Blättertau laben, ſollen nah der Ausſage der Jndianer während der Regenzeit verhältnismäßig raſh von den Bäumen herabſteigen, um ſi den Flüſſen zu nähern und dort ihren Durſt zu ſtillen.
Auf dem Boden ſind die armſeligen Baumſklaven fremd. Jhr Gang iſt ein ſo müheliges Fortſhleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beſchauers wachruft. Der