Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Unau und Aî: Stimme. Geiſtiges Weſen Fortpflanzung. Leben3zähigkeit. 651

ſofort nah ſeiner Geburt mit dieſen Krallen an den langen Haaren der Mutter feſt, mit den Armen ihren Hals umſ<hlingend. Nun ſ{<hleppt es die Alte immer in derſelben Weiſe überall mit ſi< herum. Anfangs ſcheint es, als betrachte ſie ihr Kind mit großer Zärtlichkeit; doh die Mutterliebe erkaltet bald, und die ſtumpfſinnige Alte gibt ſich kaum die Mühe, ihr Kind zu füttern und zu reinigen oder ihm andere Ammendienſte zu leiſten. Gleichgültig läßt ſie es ſi von der Bruſt wegreißen, und nur vorübergehend zeigt ſie eine gewiſſe Unruhe, als vermiſſe ſie etwas und wolle ſih nun bemühen, es wieder aufzuſuhen. Aber ſie erkennt ihren Sprößling nicht eher, als bis er ſie oder ſie ihn berührt, und wenn er au< dur< Schreien ſeine Nähe verraten ſollte. Oft kommt es vor, daß ſie ein paar Tage lang hungert, oder ſi wenigſtens niht um Nahrung bemüht; deſſenungeachtet ſäugt ſie ihr Junges ununterbrochen, und dieſes klebt ebenſo zäh an ihr wie ſie an dem Baumaſte. So erzählen die Reiſenden, vielleiht Berichte der Jndianer wiedergebend; es fragt ſih jedo<h ſehr, ob oder inwieweit dieſelben rihtig ſind. Seitdem ih Faultiere jahrelang gepflegt und beobachtet habe, bin ih zu weſentlih anderen Anſchauungen über ſie gelangt und glaube niht mehr an alle Angaben früherer Beobachter.

Die Trägheit der Faultiere zeigt ſi< au<, wenn ſie gemißhandelt oder verwundet werden. Es iſt eine bekannte Erfahrung, daß die niedrigſten Tiere verhältnismäßig die größten Mißhandlungen, Verleßzungen und Schmerzen erleiden können; bei den Faultieren nun ſcheint ſi dieſe allgemeine Thatſache ebenfalls zu beſtätigen. Die Berichte lauten allerdings niht ganz übereinſtimmend; doch behaupten anerkannt tüchtige Naturforſcher, daß jene die unempfindli<hſten aller Säugetiere wären. Es kommt nicht ſelten vor, daß dieſe Geſchöpfe viele Tage und Wochen lang hungern: Caffer z. B. teilte der Verſammlung der Naturxrforſcher in Turin mit, daß er ein dreizehiges Faultier in der Gefangenſchaft gehabt habe, welches einen ganzen Monat lang nicht das Geringſte zu ſi<h nahm. Eine auffallende Leben3zühigkeit der Tiere läßt ſih niht beſtreiten. Sie ertragen {were Verwundungen mit der Gleichgültigkeit eines Leichnams. Oft verändern ſie nah einem tüchtigen Schrotſchuſſe, welchen man ihnen in den Leib jagt, niht einmal die Stellung. Nah Schomburgk widerſtehen ſie au< dem fur<htbaren Urarigifte der Fndianer am längſten. „Mag dieſes nun in ihrem eigentümlihen Gefäßſyſtem und dem dadurch ſo gehemmten und langſamen Blutumlaufe ſeinen Grund haben, furz, die Wirkungen treten bei ihnen am ſpäteſten ein und ſind dabei au< am kürzeſten in ihrer Dauer. Ebenſo werden nur ſehr {wache Zu>kungen bemerïbar, wie ſie do< bei den übrigen Tieren bei Beginn der Wirkung des Giftes immer ſihtbar ſind. Jh äßte ein Faultier in der Oberlippe und rieb ein wenig des Giftes in die Wunde. Als ih es darauf in die Nähe eines Baumes brachte, begann es dieſen zu erklettern. Nachdem es aber 3—4 m an dem Stamme emporgeklettert war, blieb es plöglih am Baume haften, wandte den Kopf nach dieſer und jener Seite und ſuchte den Gang fortzuſeßen / ohne dies zu vermögen. Erſt ließ es einen der Vorderfüße los, dann den anderen, blieb aber no< mit den Hinterfüßen am Baumſtamme haften, bis auch dieſe kraftlos wurden und es zur Erde fiel, wo es ohne alle krampfhaften Zu>ungen und ohne jenes im allgemeinen immer eintretende ſ{<were Athemholen liegen blieb, bis in der dreizehnten Minute ſein Leben entflohen war.“ Wenn man bedenkt, daß die vergiftete <hwa<he Dornſpiße dem Jaguar, welchem ſie der Fndianer auf den Pelz blies, kaum die Haut rißt und ihn doh in wenigen Minuten zu einem Opfer des Todes macht, bekommt man erſt einen Maßſtab zur Beurteilung der Lebenszähigkeit der Faultiere.

Man kann niht ſagen, daß die hilfloſen Geſchöpfe viele Feinde haben. Durch ihr Baumleben entgehen ſie den gefährlichſten, welche ſie bedrohen, den Säugetieren nämlich. Dazu kommt, daß ihr Pelz im allgemeinen ganz die Färbung des Geäſtes zeigt, an dem ſie unbeweglich, wie die Frucht an einem Baume, hängen, ſo daß ſchon das geübte Falkenauge