Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2
Unau und Aî: Verteidigung. Gefangenleben. 653
hervorzubringen ſuchen, beweiſt ſih der Ballen vollkommen teilnahmlos; feine Bewegung verrät, daß er lebt, und gewöhnlich gehen die Beſhauer mißmutig von dannen, nachdem ſie verdußt den Namen des Tieres geleſen und einige niht eben \hmeichelhafte Bemerkungen über dieſes „garſtige Vieh“ gemacht haben.
Aber der Haarballen bekommt, wenn man es re<t anfängt, ſehr bald Leben; denn das Faultier iſt keineswegs ſo ſtumpfſinnig, wie man behauptet, ſondern ein netter, braver Geſell, welcher nur rihtig behandelt ſein will. Sein Wärter braut bloß an den Käfig zu treten und ihn zu rufen: da ſieht man, wie der Ballen nah und nah Leben bekommt. Bedächtig oder, wie man auc wohl ſagen kann, langſam und etwas \{<werfällig, entwirrt ſi der Knäuel, und nah und nach entwi>elt ſih aus ihm ein wenn auch nicht gerade wohlgebildetes Tier, ſo doh keine8wegs eine Mißgeſtalt, wie man geſagt hat, feine8wegs ein aller höheren Fähigkeiten und Gefühle bares Weſen. Langſam und gleihmäßig erhebt das Tier einen ſeiner langen Arme und hängt die ſcharfen Krallen an eine der Querleiſten des Gerüſtes. Dabei iſt es ihm vollkommen gleich, welches von ſeinen Beinen es zuerſt aufhob, ob das hintere oder das vordere, ebenſo ob es die Krallen in der natürlichen Lage des Vorderarmes anhängen, oder ob es den Arm herumdrehen muß; denn alle ſeine Glieder erſcheinen wie Strike, welche kein Gelenk haben, ſondern ihrer ganzen Länge nah bewegz li ſind. Jedenfalls iſ die Beweglichkeit der Speiche und Elle ſo groß, wie wir ſie vielleicht bei feinem Geſchöpfe wieder finden. Es kann Stellen ſeines Körpers mit den Krallen erreichen, welche jedem anderen Säuger unzugänglich ſein würden, kurz eine Beweglichkeit zeigen, welche wahrhaft in Erſtaunen ſeßt. Bei ſeiner gemütlichen Faulenzerei maht es die Augen bald auf und bald wieder zu, gähnt, ſtre>t die Zunge heraus und öffnet dabei die fleine Stumpfſchnauze ſoweit wie mögli. Hält man ihm an das obere Gitter eine Le>erei, zumal ein Stü>chen Zu>er, ſo klimmt es ziemlich raſh nach oben, um dieſe Lieblingsſpeiſe zu erhalten, ſhnüffelt an der Wand herum und öffnet die Schnauze ſo weit, wie es kann, gleichſam bittend, daß man ihm do< das Stückchen Zueker gleich in das Maul hineinfallen laſſe. Dann frißt es ſhmagend mit zugemachten Augen und beweiſt deutlich genug, wie ſehr ihm die Süßigkeit behagt.
Am eigentümlichſten ſieht das Faultier aus, wenn man es gerade von vorn betrachtet. Die Kopfhaare ſind in der Mitte geſcheitelt, ſtehen zu beiden Seiten vom Scheitel ab und verleihen dem Kopfe ein eulenartiges Ausſehen. Die kleinen Augen erſcheinen blöde, weil der Stern kaum die Größe eines Ste>nadelknopfes hat und keinen Ausdru> gibt. Beim erſten Anbli>e iſ man verſucht, zu glauben, das Faultier müſſe blind ſein. Die Schnauze tritt eigentümlih aus dem Geſichte hervor und ſtumpft ſi in einen abgeſtußten Kegel zu, auf deſſen Spigze die Naſenlöcher liegen. Die beſtändig feuchten Lippen glänzen, als ob ſie mit Fett beſtrihen wären. Die Lippen des Unau ſind nicht ſo unbeweglich, wie man geſagt hat, auh nihts weniger als hornähnlich, wie behauptet wurde, obſchon ſie niht die Biegſamkeit der Lippen anderer Säugetiere haben mögen; ſie ſind auh ziemlih unweſentlich bei der Arbeit des Freſſens, denn die lange, ſhmale, ſpie Zunge erſebt die ihnen fehlende Beweglihkeit. Dieſe Zunge erinnert an die Wurmzungen der verwandten Zahnloſen, zumal an die der Ameiſenbären. Das Faultier kann ſie weit aus dem Halſe hervorſtre>en und faſt handartig gebrauchen.
Jn Amſterdam fütterte man Kees mit verſchiedenen Pflanzenſtoffen; gekochter Reis und Möhren blieben aber ſeine Hauptſpeiſe. Den Reis reichte man ihm auf einem Teller, die Möhren legte man ihm irgendwo auf das Heu hin. Gewöhnlich wurde Kees zum Freſſen gerufen. Er kannte die Zeit ſeiner Mahlzeiten genau und richtete ſich alsbald auf, wenn er ſeinen Namen hörte. Anfangs tappte er höchſt ungeſchi>t und ſchwerfällig mit den langen Armen umher; hatte er aber einmal eine Möhre erwiſcht, ſo kam ſofort Nuhe und Sicherheit