Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

654 Achte Ordnung: Zahnarme; erſte Familie: Faultiere.

in die Bewegung. Er zog die Wurzel zu ſih heran, faßte ſie mit dem Maule, dann mit den beiden Pfoten oder beſſer mit den Krallen, klemmte ſie feſt dazwiſchen und biß nun, die Möhre ſtetig weiter in das Maul ſchiebend, verhältnismäßig ſehr große Biſſen von ihr ab, bele>te dabei auch beſtändig die Lippen und die Möhre, welche er bald auf der einen, bald auf der anderen Seite ins Maul ſte>te. Gewöhnlich fing er bei der Spite der Wurzel an zu freſſen; aber ſelten verzehrte er eine Möhre auf einmal, ſondern verſuchte lieber alle welche ihm vorgelegt wurden. An dem Abbiſſe ſieht man deutlich die Eigentümlichkeit der Hähne. Das Faultier iſt niht im ſtande, ein Stückchen glatt zu beißen, und die Zähne brechen mehr, als ſie ſchneiden. Man bemerkt in der Möhre die Eindrüe von allen, welche benugt wurden, in unregelmäßigen Zwiſchenräumen. Ein kleiner Teller voll Reis und drei Möhren genügen zur täglihen Nahrung.

Die gefangenen, welche ih gepflegt habe, wurden ſtets dur< einen Wärter gefüttert, weil ih ihnen zutraute, einen vorgeſeßten Futternapf zu verkennen und unberü>ſihtigt zu laſſen, wie dies bei mehr als einem Pfleger geſchehen zu ſein ſcheint. Der Wärter begab ſich zweimal täglih in den Käfig, hakte das hängende Faultier los, legte es ſih in den Schoß und ſte>te ihm die Nahrung in den Mund. Leßtere beſteht vorherrſchend, niht aber ausſ<ließli<h aus Pflanzenſtoffen. Am liebſten freſſen Faultiere Früchte, namentlich Birnen, Äpfel, Kirſchen und dergleichen; eines von meinen gefangenen aber war unterwegs auh mit hartgekochten Eiern gefüttert worden, ſcien ſih an dieſe Nahrung gewöhnt zu haben und kam in ſo vortrefflihem Zuſtande an, daß ic ihm dieſelbe niht entziehen mochte. Der Erfolg rechtfertigte dies vollſtändig; denn das allgemein für ſehr hinfällig gehaltene Tier befand ſi jahrelang im beſten Wohlſein, ſchien auh etwas zu vermiſſen, wenn ihm einmal kein Ei gereiht wurde. Möglicherweiſe verzehrt es während ſeines Freilebens ebenfalls tieriſche Nahrung, z. B. Kerbtiere, und iſt ihm ſomit Ei als Erſaßzmittel der leßteren geradezu Bedürfnis. Jedes Faultier gewöhnt ſi< in kurzer Friſt an ſolche Fütterung, legt ſih mit dem Nüken in den Schoß des Wärters, dreht alle vier Beine nah außen, um ſi an Leib und Schenkel des Pflegers anzuklammern, und läßt ſih mit erſichtlihem Wohlbehagen die Nahrung in das Maul ſtopfen. Jedenfalls trägt eine derartige Behandlung weſentli dazu bei, das Tier ſo weit zu zähmen, als es überhaupt gezähmt werden kann. Meine gefangenen achteten, wie das geſchilderte Faultier in Amſterdam, niht allein auf den Ruf des Pflegers, ſondern erhoben den Kopf ſhon, wenn ſie den Wärter kommen hörten, kletterten ihm auh wohl entgegen und verſuchten ſi an ihm feſt zu hängen, bewieſen alſo deutlich genug, daß ſie ſih in veränderte Verhältniſſe zu fügen wußten. Hiervon gaben meine gefangenen aber auch noch anderweitige Belege. Die Käfige, in denen ſie gehalten wurden, waren eigentlich für Schlangen beſtimmt und ihr Boden deshalb geheizt. Jn den erſten Tagen nach ihrer Ankunft hingen ſie ſämtlich oben an den für ſie hergerichteten Querſtangen; bald aber folgten ſie der von unten ausſtrahlenden Wärme, und bereits nah acttägiger Gefangenſchaft hielten ſie ihren Tagesſlaf niht mehr hängend, ſondern liegend, unten auf dem warmen Boden im Heue eingewühlt, und in der Regel ſo vollſtändig dazwiſchen verſte>t, daß man nicht viel mehr als die Schnauzenſpiße zu ſehen bekam. Fn den Wintermonaten ſuchten ſie ſtets dieſes für ſie doch entſchieden unpaſſende Lager auf, während ſie ſich im Sommer oft auch an ihre Querſtangen hingen.

n der Regel verſchlafen die Faultiere den ganzen Tag, es ſei denn, daß trübes Wetter ſie an der Tageszeit irre werden läßt. Bei regelmäßigem Verlaufe der Dinge ermuntern ſie ſich in den legten Nachmittagsſtunden, kriechen, wenn ſie im Heue lagen, mühſelig auf dem Boden fort, ihre Beine niht als Gehfüße, ſondern nux als Greifwerkzeuge benußend, bis ſie ſhließlih mit einem Fuße eine Kletterſtange erreichen und ſi an dieſer in die Höhe ziehen können. Nachdem das emporgeſtiegene Faultier ſi< an ſeiner Stange befeſtigt hat,