Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Unau und Aî: Verhalten gefangener. 655

beginnt es zunächſt ſein Haarkleid zu ordnen. Zu dieſem Ende hängt es ſi in der Regel mit den beiden Beinen einer Seite auf und bearbeitet mit den anderen das Fell auf das Sorgfältigſte und Gewiſſenhaſteſte, kraßt ſih an den verſchiedenſten Stellen ſeines Körpers und zieht kämmend die einzelnen Haarſträhne zwiſchen den Sichelkrallen ſeiner Füße durch. Hat es die eine Seite ordentlich bearbeitet, ſo wechſelt es die Stellung, hängt ſich wie früher, aber mit den beiden anderen Beinen auf und kraßt und kämmt von neuem, bis endlich die zeitraubende Arbeit zu ſeiner Befriedigung ausgeführt zu ſein ſcheint. Nunmehr unternimmt es verſchiedene Turnübungen, klettert an den Stangen hin und her, erklimmt das Gitter, hängt ſich hier an und bewegt ſih geraume Zeit anſcheinend nur zu ſeinem Vergnügen. Wenn jetßt der Pfleger mit Futter kommt, wird er mit erſichtliher Befriedigung empfangen; bleibt er aus, ſo ſucht das Tier früher oder ſpäter ſeinen alten Plag wieder und verträumt hier ein oder mehrere Stündchen, thut ſolches au< wohl mitten in der Nacht, ſeiner eigentlichen Arbeitszeit.

Die ſtumpfe Gleichgültigkeit, von welcher die Reiſenden berihten, kann, wenigſtens bei dem Unau, auch einer erſichtlichen Erregung weihen. So beſtimmt ein Faultier ih mit ſeinem Pfleger befreundet, ſo beſtimmt unterſcheidet es andere Perſönlichkeiten und zeigt dieſen gelegentlih die Zähne oder bedroht ſie mit den Klauen, während es ſi<h von dem Wärter jede Berührung und Behandlung widerſtandslos gefallen läßt. Noch unfreundlicher benimmt ſih das Zweizehenfaultier anderen Geſchöpfen gegenüber. Meine Abſicht, Unau und Aï in einem und demſelben Käfige zu halten, wurde durch erſteren, den älteren Bewohner des Raumes, vereitelt, und der Verſuch, beide Verwandten einander zu nähern, mußte ſofort aufgegeben werden. Alle ihm zugeſchriebene Faulheit vollſtändig verleugnend, fiel der Unau beim erſten Anblicke des Verwandten über dieſen her, gab ihm zunächſt einige wohlgezielte Schläge mir der wehrhaften Pfote und pate ihn ſodann ſo ingrimmig mit den Zähnen, daß der Wärter beide Tiere ſchleunigſt trennen und den harmloſeren Ai in Sicherheit bringen mußte: nicht ohne daß er von dem erboſten Unau einige Hiebe mit den Klauen wegbekommen hätte.

Weſentlich verſchieden von dem geſchilderten Betragen des Unau iſt das Benehmen des Ai. Schon beim Schlafen nimmt ex eine andere Stellung an. Jn tiefſter Ruhe hängt das abſonderliche Geſchöpf an ſeiner Stange, wie ein mit weichen Stoffen gefüllter, an den Tragriemen aufgehangener Ranzen an einem Nagel. Von dem Kopfe ſieht man nicht die geringſte Spur, weil er, bis tief auf die Bruſt herabgebogen, zwiſchen den vier Beinen verborgen wird; nux der Shwanzſtummel unterbricht die Rundung des Bündels, als welches man das ſchlafende Tier anſehen möchte. Jett ermuntert ſih der Ai, ſtre>t den dünnen Hals mit dem fleinen Kopfe weit von ſih und beweiſt bald darauf, daß er niht umſonſt neun Halswirbel beſißt. Denn mit der Leichtigkeit, mit welher man die Hand wendet, dreht er den Kopf ſo weit herum, daß das Hinterhaupt vollſtändig in die Bruſtz, das Geſicht in die Nückenlinie zu ſtehen kommt. Kein Säugetier weiter iſt im ſtande, eine derartige Drehung auszuſühren; der Anbli> des dreizehigen Faultieres wirkt daher im allerhöhſten Grade überraſchend, und man muß ſi< erſt an das ſonderbare Bild gewöhnen, bevor man es richtig aufzufaſſen und zu verſtehen vermag. Ein zweizehiges Faultier macht, ſo gelenkig es ſonſt iſt, niemals einen Verſuch zu ſolcher Verdrehung: der Aï wechſelt mit der Haltung ſeines Kopfes nach Belieben, trägt ihn aber meiſtens in der anſcheinend unnatürlichen Lage. Dabei ſehen die fleinen Augen dumm gutmütig ins Weite, und der Kopf zittert auh wohl wie der eines Greiſes hin und her. So leicht dieſe Drehung des Halſes vor ſih geht, ſo ſ{<hwerfällig erſcheinen, verglichen mit denen des Unau, alle übrigen Bewegungen des Tieres. Auf den Aï beziehen ſi<h die meiſten Schilderungen der Reiſenden, und ex entſpricht in der That in vieler Hinſicht den von ihnen mitgeteilten Berichten. Man kann nicht im Zweifel bleiben,