Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2
Yurumi. Tamandua. 663
Der Ameiſenbär iſt entſchieden ein Tagtier, welches ſeine Zeit regelmäßig eingeteilt hat. Jm Sommer um 7 Uhr, ſpäter um 8 Uhr, erwacht ex, nimmt ſein Frühſtü> ein und iſt darauf, je nah Laune, 2—4 Stunden in Bewegung, worauf er ſih bis zum Mittagsmahle niederlegt. Auch nach dieſem pflegt er wieder der Ruhe, um gegen 3 Uhr zur Hauptthätigkeit zu erwachen; denn immer zeigt er ſi< um dieſe Zeit am munterſten. FJebt am meiſten zum Spielen aufgelegt, galoppiert er zuweilen ſelbſtvergnügt in ſeinem Gemache umher. Mit Eintritt der Dunkelheit legt er ſich nieder, um die ganze Nacht bis zur Zeit der Morgenfütterung ruhig zu verſchlafen. Fn der Ruhe nimmt ex eine eigentümliche Stellung ein: er legt ſi auf die Seite, zieht die Beine an, ſchiebt den Kopf zwiſchen die Vorderbeine und breitet den buſchigen Shwanz ſo über den ganzen Körper aus, daß dieſer unter der ſhüßenden Decke vollflommen verſchwindet.
Die gefangenen des Londoner Tiergartens erhalten rohes, fein geſhabtes Fleiſch und Eidotter als Futter; der von Noll beobachtete Hamburger Ameiſenbär fraß außerdem ſehr gern einen Brei aus Maismehl, welches mit heißer Milch angerührt und mit einem Löffel Sirup verſüßt wurde, und es gewährte einen abſonderlichen Anbli>, das fremdartige Tier vor ſeiner Breiſchüſſel ſtehen und dieſe mit ſeiner merkwürdigen Zunge ausfreſſen zu ſehen. Mit kaum glaublicher Schnelligkeit, etwa 160mal in der Minute, fährt die ſ{<hwärzliche, walzenrunde Zunge wohl 50 cm weit aus dem Maule heraus und in den Brei, biegt ſich darin um und zieht ebenſo raſh kleine Teile der Speiſe mit in den Mund. Bei dieſer Thätigkeit ſondert ſich reichlih Speichel ab, welcher die Zunge flebrig überzieht und beſonders am Rande der Schüſſel ſich anhängt. Höchſt überraſchend war das Verhalten des Tieres zum Waſſer. Bei ſeiner Ankunft zeigte es ſih bezüglich der Reinhaltung entſchieden verwahrloſt; die Kopfhaare waren durh Shmuß verklebt und alle Körperteile voller Schorf. Gegen die mit Waſſer verſuhten Reinigungen wehrte ſi< der Ameiſenbär derart, daß man, um Schaden zu verhüten, davon abſtehen mußte, und da ex auh ihm in Gefäßen vorgeſtelltes Trinkwaſſer niemals berührte, ſo glaubte man ſ{<hon, das Tier beſize überhaupt Widerwillen gegen alles Waſſer. Bald aber erfuhr man, daß er ſi< in einem größeren Been mit ſichtlihem Vergnügen badete und nah mehrmaligem Wiederholen dieſes Verfahrens ſeine Haut vollkommen reinigte. Ebenſo gern ging er in einen Teich und ſhwamm ſogar an den tiefen Stellen munter umher.
Daß der Ameiſenfreſſer, {ließt Noll, nicht bloß für die Begriffe des Menſchen eine abenteuerliche Geſtalt beſizt, ſondern auh auf die meiſten Tiere die Wirkung der Überraſhung und ſelbjr des Schre>kens hervorbringt, zeigte ſich, als das Tier im Affenhauſe untergebraht werden ſollte. Mächtiger Schre>en ergriff ſämtliche Bewohner des Hauſes; die Affen lärmten und tobten derartig, daß man ihre Käfige verhüllen mußte, und ſelbſt ein Schimpanſe vergrub ſich angeſichts des ihm entſeßlichen Tieres angſterfüllt in dem Strohe ſeines Wohnraumes.
Unter den übrigen Ameiſenbären, welche Baumtiere ſind, ähnelt die T amandua, der Caguare (Tamandua tetradactyla, tridactyla und biyittata, Myrmecophaga tamandna, biyittata, nigra, myosura, ursina und crispa), dem geſchilderten Verwandten am meiſten, wird aber trozdem als Vertreter einer beſonderen Gattung angeſehen, weil er an den Vorderfüßen 4, an den Hinterfüßen 5 Zehen hat und ſein Schwanz ein Greifſhwanz iſt. Wie uns Azara belehrt, bedeutet das Wort Caguare „Stänker des Waldes“, und dieſe Bezeichnung ſoll keineswegs aus der Luft gegriffen ſein. Das Tier bewohnt ſo ziemlih dieſelben Länder wie das vorige, reiht aber bis Peru hinüber. Seine Länge beträgt etwa 1 m, wovon ungefähr 60 cm auf den Leib kommen ; die mittlere Höhe wird auf 30—85 cm