Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

674 Achte Ordnung: Zahnarme; dritte Familie: Gürteltiere.

Die Gürteltiere, wel<he man auh häufig nah Europa bringt und in einigen Tiergärten mit den Affen zuſammenſperrt, werden in der Gefangenſchaft mit Würmern, Kerbtieren, Larven und rohem oder gekochtem Fleiſche ernährt, wel leßteres man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerſen muß, weil ſie von größeren nichts abbeißen können. Sie ergreifen die Speiſe mit den Lippen oder mit ihrer ſehr ausdehnbaren Zunge. Bei einigermaßen entſprechender Pflege halten ſie ſich im beſten Wohlſein jahrelang, dienen willig oder willenlos den Affen zu Reittieren und Spielkameraden, laſſen ſi alles gefallen, gewöhnen ſih an Spaziergänge bei Tage und ſchreiten au< wohl zur Fortpflanzung. Junge, welche im Londoner Tiergarten geboren wurden, kamen blind zur Welt, und ihre noh weihe Haut zeigte alle Falten und Felder des erwachſenen Tieres. Jhr Wachstum ging außerordentlich ſchnel! vor ſich; eines hatte in Zeit von 10 Wochen faſt 1,5 kg an Gewicht gewonnen und 25 cm an Größe zugenommen. Jm Kölner Tiergarten warf ein Weibchen zweimal je zwei Junge. „Über die Fortpflanzungsgeſchichte dieſer merkwürdigen Tiere“ {rieb mir Bodin Us, „bin ih, troßdem ih die gefangenen täglih vor Augen habe, noch ziemlich im Dunkel geblieben. Jh kann nur ſagen, daß die Begierde des Männchens zur Begattungszeit geradezu ungezügelt iſt. Es überfällt ſein Weibchen in jeder Lage und treibt es lange umher. Die Geburt der Jungen überraſchte mich; denn die Geſchlechter ſind ſchwer zu unterſcheiden, und ih hatte durchaus keine Änderung in dem Umfange des Weibchens wahrgenommen. Fhre verhältnis: mäßig ſehr großen Fungen wurden halbtot vor Kälte in der Streu des Käfigs gefunden. Das Weibchen bemühte ſich, ſie dort zu verſharren. Dabei ſtieß es die Jungen in der roheſten Weiſe umher, kragte und ſ<hlug mit ſeinen Nägeln auf die armen Geſchöpfe los, daß ſie blutrünſtig wurden, und erneuerte dieſes Verfahren immer wieder, nachdem die Jungen, als ſie fortgenommen und wieder erwärmt worden waren, hingelegt wurden, um ſich ſaugend an der Mutter zu ernähren. Daran war aber nicht zu denken. Es war mir unmöglich, irgend eine Spur von Milch zu entde>en; die Milchdrüſen waren auh niht im geringſten angeſhwollen. Was die Mutter zu ſo unerträglichem Verfahren gegen die Jungen veranlaßt, konnte ih bis jet niht ergründen, und fernere Beobachtung wird nötig ſein. Sobald es mir gelingt, den trächtigen Zuſtand des Weibchens wahrzunehmen, will ih Vorkehrungen treffen, um dem Tiere ein möglichſt naturgemäßes Wochenbett zu bereiten.“

Der Nußzen der Gürteltiere iſt niht unbedeutend. Bei reihliher Weide werden die Tiere ſo ſeiſt, daß der ganze Leib gleichſam in Fett eingewi>elt erſcheint. Die Fndianer eſſen deshalb das Fleiſch aller Arten leidenſchaftlih gern, die Europäer dagegen bloß das von zweien. Nah Kappler verliert das Fleiſch einen ihm anhaftenden Moſchusgeruh, wenn man es über Nacht in eine Lauge von ‘Salz und Zitronenſaft legt. Nengger verſichert, daß gebratenes und mit ſpaniſchem Pfeffer und Zitronenſaft verſeßtes Gürteltierfleiſh eines der angenehmſten Gerichte ſei. Alle übrigen Reiſenden ſtimmen hiermit überein. „Das Fleiſch des Tatu“, ſagt Henſel, „ein Le>kerbiſſen, iſt zart und weiß wie das der Hühner, und das reichliche Fett gleicht im Geſhma> vollſtändig dem von den Nieren des Kalbes.“ Seine Zubereitung geſchieht, laut Tſhudi, in höchſt einfaher Weiſe. Man ſ{hneidet den Bauch des Tieres auf, nimmt die Eingeweide ſorgfältig heraus, reibt Salz, Pfeffer und andere Gewürze ein und bratet den Tatu über Kohlen in ſeinem Panzer, bis dieſer ziemlih verſengt iſt; dann löſt ſih der Panzer leiht von dem garen Fleiſche ab. Wahrſcheinlith der etwas abenteuerlihen Geſtalt des Tieres halber eſſen es die Braſilier nicht oft; die Neger hingegen lieben es ſehr und ſtellen allen Gürteltieren deshalb eifrig nah. Jm übrigen weiß man mit dem erlegten Tatu wenig anzufangen. Die Jndianer Paraguays verfertigten aus dem Panzer kleine Körbe, die Botokuden aus dem abgeſtreiften Shwanzpanzer Sprachrohre; früher benußte man die Panzerſtü>e auh wohl, um daraus Guitarrenböden zu machen.