Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Fortpflanzung. Krankheiten. Alter. Geiſtiges Weſen, 57

Zufriedenheit mit ſeinem gegebenen Verhältniſſe oder aber des Verlangens nah einem anderen, ja ſelbſt der Leidenſchaften, gemütlicher Liebe und gemütlichen Haſſes fähig. Sein Verſtand iſt groß und wird leiht in Geſchi>lichkeit umgewandelt; denn das Pferd iſt außerordentlih gelehrſam.

„Viele Tiere ſchen und hören beſſer als das Pferd. Dieſes rie<ht und ſ{<hme>t auch niht beſonders fein, und ſein Gefühl iſt nur an den Lippen geſteigert. Dafür iſt ſeine Wahrnehmungsgabe für nahe Gegenſtände ganz außerordentlich, ſo daß es alle Gegenſtände um ſi her genau kennen lernt, womit dann exſt noh ein vortrefſflihes Gedächtnis verbunden iſt. Wir kennen die Erzeugniſſe ſeiner Wahrnehmungsgabe, ſeinen Orts-, Stall: Steg- und Wegſinn, ſeine Sicherheit, einen Pfad, wenn es ihn auh nur einmal gemacht hat, wiederzuerkennen. Es kennt den Weg viel beſſer als ſein Führer. Seiner Kenntnis gewiß, wider: ſet es ſi<h an einem Scheidewege faſt ſtarrſinnig dem Unrechtführer. Reiter und Kutſcher tönnen ruhig ſ<lafen und im tiefſten Dunkel dem Pferde die Wahl des Weges überlaſſen. Dieſe Wahl iſt {hon vielen betrunkenen Fuhrleuten aufs beſte zu ſtatten gekommen und hat ſhon Tauſenden Leben und Habe gerettet. Wie ſchnell erkennt es den Gaſthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt iſt, aber auh wie hartnä>ig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es iſt, als ob es meine, der Führer, der Reiter kenne den Gaſthof nicht ſo gut wie es ihn kenne, als ob es ihn zurehtweiſen müſſe. Fſſtt es einmal beim Gaſthofe vorüber, ſo läuft es wieder ganz willig. Es ſcheint nun ſi< ſelbſt zu berihtigen und zu denken, ſein Führer habe niht Unrecht; denn er wolle nun einmal da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gaſthof als ſolchen niht am Schilde. Willig läuft es bei denen vorbei, in welchen es noch nie geweſen. Seinen ehemaligen Herrn SFKnecht erkennt es nach vielen Fahren noh ſogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, le>t ihn und bezeigt eine gar innige Freude; es weiß nur niht ret, wie es ſeine Freude äußern ſoll. Es merkt augenbli>lich, ob ein anderer Menſch als der gewöhnliche auf ſeinem Nücken ſißt. Bisweilen ſchaut es rüdwärts, ſih darüber völlig ins reine zu ſeßen. Vollkommen erkennt es den Sinn der Worte des Wärters und vollkommen gehor<ht es denſelben. Es tritt aus dem Stalle zum Brunnen, zum Wagen, läßt ſih das Geſchirr an- und auflegen, läuft dem Knechte wie ein Hund nach, geht von ſelbſt wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Nebenpferd ſchaut es ſinnvoll an, in ganz anderer Weiſe als die Kuh das neue Thor. Alles Neue erregt es ſtark, ein neuer Wagen, eine neue Kutſche iſt ihm wichtig.

„Seine Wahrnehmungsgabe, ſein Gedächtnis und ſeine Gutmütigkeit machen es möglich, ihm alle Künſte des Elefanten, Eſels und Hundes beizubringen. Es muß Rätſel löſen, Fragen beantworten, dur< Bewegen mit dem Kopfe ja und nein ſagen, dur<h Schläge mit dem Fuße Zahlengrößen der Uhr 2c. bezeichnen. Es ſieht auf die Bewegung der Hände und Füße des Lehrers, verſteht die Bedeutung der Schwingung der Peitſche und diejenige der Worte, ſo daß es ſchon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort ſtellt es fich rant, ſteht es dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, ſhwankt es traurig und matt, ſinkt langſam, plumpt auf die Erde, liegt wie tot, läßt auf ſich ſien, die Beine auseinander legen, am Schhwanze zerren, die Finger in die ſo ſehr empfindlihen Dhren ſteœen 2c. aber aufs hingeworfene Wort, es dur den Henker abholen zu laſſen, ſpringt es wieder auf und rüſtet ſih wieder munter und froh: es hat den Beſehl völlig verſtanden. Daß ihm der Spaß, den es oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen behagen. Wie lange wird man es lehren müſſen, bis es dur<h wei große Reifen ſpringt, welche, ziemlih weit voneinander entfernt, mit weißem Papier ſcheibenartig ſih ihm wie eine weiße Mauer darſtellen? Daß der Menſch lernen kann und will, nimmt uns niht wunder, ſondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich niht fragen: Was kann es lernen? ſondern: was kann es ni<ht lernen?