Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

56 Zehnte Ordnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

zur Paarung. Von ſeinem ſiebenten Fahre an genügt er für 50—100 Stuten. Leßtere werfen 11 Monate nah der Begattung ein einziges Füllen, welches ſehend und behaart geboren wird und wenige Minuten nah der Geburt ſtehen und gehen kann. Man läßt es etwa 5 Monate ſaugen, ſi< tummeln und ſpielen und entwöhnt es dann. Jm erſten Jahre trägt es ein wolliges Haarkleid, eine kurze, aufre<ht ſtehende, gekräuſelte Mähne und ähnlihen Schweif, im zweiten Fahre werden die Haare glänzender, Mähne und Shweif länger und ſ{hli<ter. Das ſpätere Alter erkennt man ziemlich richtig an den Schneidezähnen. Von dieſen erſcheinen 8—14 Tage nach der Geburt oben und unten die beiden mittelſten, die ſogenannten Zangen; 2 oder 3 Wochen ſpäter bricht zu jeder Seite der Zangen wieder ein Zahn aus, und nun ſind die ſogenannten Mittelzähne vollſtändig. Nah 5—6 Monaten treten die äußeren Schneidezähne hervor, und damit ſind die Milch- oder Füllenzähne, kurze, glatte, glänzende, milhweiße Gebilde, vollendet. Nach dem Ausfallen der Füllenzähne erhält das Noß die Pferdezähne. Jm Alter von dritthalb Fahren werden die Zangen ausgeſtoßen und dur neue Zähne erſeßt; ein Fahr ſpäter wechſeln die Mittelzähne, im nähſten Jahre die ſogenannten E>zähne oder beſſer die äußeren Schneidezähne. Mit ihnen brechen die wirklichen Edzähne oder Haken dur, zum Zeichen, daß die Ausbildung des Tieres beendet iſt. Vom fünften Fahre ab ſieht der Beurteiler des Alters bei Pferden nah den Gruben, Kunden oder Bohnen in den Zähnen, linſengroßen, ſhwarzbraunen Höhlungen auf der Sneide der Zähne. Dieſe verwiſchen ſih an der unteren Kinnlade im Alter von 5—6 Jahren, an den Mittelzähnen im ſiebenten, an den E>zähnen im achten Fahre des Alters: dann tommen in gleicher Zeitfolge die Oberzähne daran, bis im elften bis zwölften Fahre ſämtliche Gruben verſ<hwunden ſind. Mit zunehmendem Alter verändert ſich auc allmählich die Geſtalt der Zähne: ſie werden um ſo ſ{hmäler, je älter ſie ſind. Bei manchen Pferden verwiſchen ſih die Kunden niemals.

Das Pferd wechſelt nur die kleinen, kurzen Haare und zwar hauptſächlih ün Frühjahre. Das längere Winterhaar fällt um dieſe Zeit ſo ſhnell aus, daß es ſhon innerhalb eines Monates der Hauptſache nah abgelegt iſt. Nach und nah werden die Haare erſeßt, und von Anfang September oder Oktober an beginnen ſie ſi<h wieder merklih zu verlängern. Die Haare in der Mähne und ün Schwanze bleiben unverändert.

Leider iſt das edle Roß vielen Krankheiten unterworfen. Die wichtigſten ſind der Spat, eine Geſchwulſt und ſpätere Verhärtung des Sprunggelenkes; die Druſe, eine Anſchwellung der Drüſen unter den Kinnladen; die Räude, ein tro>ener oder naſſer Ausſhlag, wobei die Haare ausgehen; der Rog, eine ſtarke Entzündung in der Naſenſcheidewand, welche furhtbar anſte>t, ſich ſelbſt auf Menſchen überträgt; der raſende Koller, eine Gehirnentzündung, oder der Dummfkollex, ein ähnlihes Leiden; der graue und ſhwarze Star und andere. Außerdem plagen das Tier äußere und innere \Shmarober.

Das Pferd kann ein Alter von 40 Fahren und darüber erreichen, wird aber vielfach jo ſhle<t behandelt, daß es oft ſhon mit 20 Fahren greiſenhaft iſt; man darf annehmen, daß es nur in ſeltenen Fällen 30 Jahre alt wird. Das Pferd, welches der öſterreichiſche Feldmarſchall Lacy im Türkenkriege ritt, wurde auf Befehl des Kaiſers ſorgfältig gepflegt und ſoll ein Alter von 46 Jahren erreiht haben.

Über die Eigenſchaften, Gewohnheiten, Sitten und Eigentümlichkeiten der Pferde, kurz, über das geiſtige Weſen will ih Scheitlin reden laſſen. „Das Pferd“, ſagt er, „hat Unterſheidungskraft für Nahrung, Wohnung, Raum, Zeit, Licht, Farbe, Geſtaltung, für ſeine Familie, für Nachbarn, Freunde, Feinde, Mittiere, Menſchen und Sachen. Es hat Wahr1iehmungsgabe, innere Vorſtellungs kraft, Gedähtnis, Erinnerungsvermögen, Einbildungsfraft, mannigfache Empfindungsſähigkeiten für eine große Anzahl von Zuſtänden des Leibes und der Seele. Es fühlt ſi<h in allen Verhältniſſen angenehm oder unangenehm, iſt der