Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
32 Ein Bli> auf das Leben der Geſamtheit.
beſtimmter Zeit ſtattfindet und in beſtimmter Richtung geſchieht; unter Wandern ein Neiſen, welches bedingt wird dur die Notwendigkeit alſo weder eine beſtimmte Zeit noh Richtung hat, nicht alljährlich geſchieht und endet, wenn ſeine Urſache aufgehoben wurde; unter Streichen endlih eine Wanderſchaft in engeren Grenzen, hervorgerufen dur< den Wunſch, einen früheren Wohnſiß gegen einen anderen umzutauſchen, von einer gewiſſen, gerade jeßt in Fülle ſih findenden Nahrung Vorteil zu ziehen.
Der Zug iſt es, welcher uns im Herbſte unſere Sänger nimmt und ſie im Frühjahre wiederbringt, welcher unſere Waſſervögel vertreibt, no< bevor das Eis ihr Gebiet ihnen unzugänglih macht, welche viele Räuber zwingt, ihrer abgereiſten Beute na<hzufliegen. Von den europäiſchen Vögeln ziehen mehr als die Hälfte, von den nordaſiatiſhen und nordamerikaniſchen verhältnismäßig ebenſo viele. Alle wandern in mehr oder weniger ſüdlicher Richtung, die auf der Dſthälfte der Erde lebenden von vielen Ländern aus au<h na<h Südweſten, die auf der Weſthälfte wohnenden mehr na<h Südoſten, entſprehend der Weltlage ihres Erdteiles und der Beſchaffenheit des Gürtels, in welhem die Winterherberge liegt. In der Zugrichtung fließende Ströme oder verlaufende Thäler werden zu Heerſtraßen, hohe Gebirgsthäler zu Päſſen für die Wanderer; in ihnen ſammeln ſi<h na< und nach die Reiſenden an. Einige ziehen paarweiſe, andere in Geſellſchaft, die ſhwachen hauptſächlich des Nats, die ſtarken auh bei Tage. Sie reiſen meiſt eilig, als ob ein unüberwindlicher Drang ſie treibe; ſie werden um die Zeit der Reiſe unruhig, auc wenn ſie ſih im Käfige befinden, werden es, wenn ſie als Junge dem Neſte entnommen und in der Gefangenſchaft aufgefüttert wurden. Die einen verlaſſen uns ſchon früh im Fahre, die anderen viel ſpäter, jeder einzelne aber zu einer beſtimmten, nur wenig wechſelnden Zeit. Diejenigen , welche am ſpäteſten wegzogen, kehren am erſten zurü>, die, welhe am frühſten uns verließen, fommen am ſpäteſten wieder: der Mauerſegler reiſt ſchon in den leßten Tagen des Julis ab und ſtellt ſich erſt im Mai wieder ein; die lezten Nachzügler wandern erſt im November aus und ſind bereits im Februar wieder angelangt. Fhre Winterherbergen ſind ungemein ausgedehnt; von manchen kennt man die Stätte nicht, in welcher ſie endli<h Ruhe finden. Mehrere überwintern ſhon in Südeuropa, viele in Nordafrika zwiſchen dem 37. und 24. Grade der nördlichen Breite; nicht wenige gehen bis tief in das Jnnere des heißen Gürtels und finden ſih während der Wintermonate von der Küſte des Roten oder Fndiſchen Meeres an bis zu der des Atlantiſchen. Eine ähnliche Herberge bilden Fndien, Barma, Siam, Südchina und die benachbarten Fnſeln. Die nordamerikaniſchen Vögel reiſen bis in den Süden der Vereinigten Staaten und bis na<h Mittelamerika. Auch auf der ſüdlichen Halbkugel findet ein regelmäßiger Zug ſtatt. Die Vögel Südamerikas fliegen in nördliher Richtung bis nah Süd- und Mittelbraſilien, die Südauſtraliens wandern nah dem Norden dieſes Erdteiles, teilweiſe wohl auh bis nah Neuguinea und auf die bena<hbarten Eilande.
Vor dem Weggange pflegen die Abreiſenden Verſammlungen zu bilden, welche einige Tage an einer und derſelben Stelle verweilen, die einzeln Vorüberziehenden herbeilo>en; endlih, wenn der Shwarm zu einer gewiſſen Stärke angewachſen iſt, brechen die Verſammelten auf und fliegen gemeinſam davon. Einzelne halten vorher förmliche Muſterung über die Mitglieder der Reiſegeſellſchaft. Dieſe bleibt unterwegs, meiſt auch in der Winterherberge, mehr oder weniger vereinigt. Reiſend beobachten die Zugvögel entweder eine beſtimmte Ordnung, gewöhnlich die eines Keiles oder richtiger die zweier gerader Linien, welche in ſchiefer Nichtung gegeneinander laufen und vorn an der Spitze ſih vereinigen, einem Y vergleichbar; andere fliegen in Reihen, andere in einem gewiſſen Abſtande durcheinander, in wirren, nah außen hin jedo< einigermaßen gerundeten Haufen. Die meiſten ſtreichen in bedeutender Höhe fort, manche ſtürzen ſih aber aus dieſer Höhe plößlich tief nah unten herab, fliegen eine Zeitlang über dem Boden weg und erheben ſi allgemach wieder in ihre