Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
Ziehen. Wandern. Streichen. 33
frühere Höhe. Schwächere Vögel benußen unterwegs Wälder und Gebüſche zu ihrer De>ung, fliegen wenigſtens am Tage ſoviel wie möglih von Baum zu Baum, von Wald zu Wald. Laufvögel, denen das Fliegen ſ{hwer wird, legen einen guten Teil des Weges zu Fuße, manche Waſſervögel geringere Stre>en ſ{<wimmend zurü>. Gegenwind fördert und beſchleunigt, Rücfwind ſtört und verlangſamt den Zug, hält ihn wohl au< tagelang auf. Die lebhafte Unruhe, welche aller Gemüter erfüllt, endet erſt am Ziele der Reiſe; jedoch tritt auch dort das gewohnte Leben niht früher ein, als bis die neu erwachende Liebe ſi<h im Herzen regt. Nunmehr trennen ſich die Geſellſhaften, welche auh in der Fremde noch vereinigt blieben, in fleinere Flüge, Trupps oder Paare; alte Chen werden neu befeſtigt, junge geſchloſſen, und ſingend und werbend kehren die Männchen, beglü>end und gewährend die Weibchen heim zur Stätte vorjährigen Glückes oder der Kindheit.
Die Wanderung kann unter Umſtänden dem Zuge inſofern ähnlich werden, als ſie zu einer beſtimmten Zeit mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit ſtattfindet. Wandervögel ſind viele der im hohen Norden lebenden Arten, welche innerhalb eines gewiſſen Gebietes wohl alljährlich ſtreichen, aber nicht in allen Fahren weitere Reiſen nah milderen oder nahrungsreicheren Gegenden und Ländern unternehmen. Eingetretener oder eintretender, vielleiht nur befürhteter Mangel mag die treibende Urſache ſolcher Wanderungen ſein. Alle Vögel, welche ihre Nahrung auf dem Boden ſuchen, denen alſo tiefer Schnee den Tiſch zeitweilig verde>t, wandern regelmäßiger als diejenigen, welche im Gezweige Futter finden. Daher erſcheinen legtere, insbeſondere die Baumſamen- und Beerenſreſſer, niht allwinterlih in unſeren Gauen, oft viele Jahre nacheinander gar niht, während ſie faſt unfehlbar bei uns zu Lande ſich einſtellen, wenn hier Samen und Beeren gut geraten ſind. Fnwiefern ſie hiervon Kunde exlangen, iſt gegenwärtig noh rätſelhaft. Thatſache iſt, daß ſie an beſonders reich beſchi>ter Tafel ſich regelmäßig einfinden. Jm Gegenſaße zu dieſen unſteten Reiz ſenden ziehen ſich alle Vögel, welche im oberen Gürtel des hohen Gebirges leben, jedes Fahr unregelmäßig in tiefere Gegenden hinab und wandern mit Beginn des Frühlinges, ebenfalls zu einer beſtimmten Zeit, wieder nah ihrem Standorte zurü>; ihre Reiſe alſo iſt der wirtlicher Zugvögel ähnlich.
Das Streichen geſchieht während des ganzen Jahres und auf der ganzen Erde. Alle Hageſtolzen oder Witwer ſtreichen, größere Raubvögel ſhon ihrer Nahrung wegen; andere ſ<weifen umher, ſcheinbar mehr zu ihrem Vergnügen, als der Notwendigkeit folgend; einzelne bewegen ſi< in ſehr engem Kreiſe, andere durhwandern dabei Meilen. Unter den Wendekreisländern kann auch dieſe Art der Ortsveränderung dem Zuge ähnlih werden.
Wie immer der Vogel reiſen möge, ob als ziehender Wanderer oder Landſtreicher, und wie weit ſeine Reiſe ſih ausdehne: ſeine Heimat iſt immer nur da, wo er liebt und ſich fortpflanzt. Jn dieſem Sinne darf das Neſt das Haus des Vogels genannt werden.
Die Säuger ſind die Nugtiere, die Vögel die Vergnügungstiere des Menſchen. Fene müſſen zollen und geben, wenn ſie vom Menſchen nicht vertilgt werden wollen, dieſe genießen eine Bevorzugung vor allen übrigen Tieren: ſie beſißen des Menſchen Wohlwollen und des Menſchen Liebe. Die Anmut ihrer Geſtalt, die Schönheit der Farben, die Schnelligkeit und Behendigkeit ihrer Bewegungen, der Wohllaut ihrer Stimme, die Liebenswürdigkeit ihres Weſens ziehen uns unwiderſtehlih an. Schon die erſten Menſchen, von deren Gefühl wix Kunde haben, befreundeten ſich mit den Vögeln; die Wilden nahmen fie unter ihren Shut; Prieſter vergangener Zeiten ſahen in ihnen heilige Tiere; Dichter des Altertumes und der Gegenwart laſſen ſi< begeiſtern von ihnen. Fhr Leben, ihre Stimme, ihr Flug, ihre erſichtliche Zufriedenheit mit dem Daſein erhebt und erbaut uns. Jhnen gewähren
Brehm, Tierleben. 3. Auflage. IVY. 2