Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1
46 Erſte Ordnung: Baumvögel; erſte Familie: Sänger.
es um dieſe Zeit ſtiller: der Sänger ſcheint mehr Nuhe gefunden und ſeine gewohnte Lebensordnung wieder angenommen zu haben.
Die Lockſtimme des Sproſſers klingt anders, — niht „wiid—karr“, ſondern „glo#arrr“; der Slag kennzeihnet ſi< dur größere Tiefe der Töne und langſameren, mehr gehaltenen, dur< längere Pauſen unterbrochenen Vortrag, iſt ſtärker und ſhmetternder als der der Nachtigall, die Mannigfaltigkeit ſeiner Strophen aber geringer; er ſteht jedoh demungeachtet mit dem Nachtigallenſchlage vollkommen auf gleicher Höhe. Einzelne Liebhaber ziehen ihn dem Liede der Nathtigall vor und rühmen mit Recht die ſogenannten Glo>entöne als etwas Unvergleichlihes. Meiner Anſicht nah gibt Gräßner die Unterſchiede zwiſchen Nachtigallen- und Sproſſerſhlag mit nachſtehenden Worten am kürzeſten und rihtigſten wieder: „Soviel ih von Nattigallen und Sproſſern gehört habe, ſcheint mir feſtzuſtehen, daß die Nachtigallen, auch die größten Geſangskünſtlerinnen unter ihnen, in feſt gegliederten Strophen, aber in verſchiedener Reihenfolge und in verſchiedenem Zeitmaße ſ{lagen, je nach Stimmung und Tageszeit, während ein guter Sproſſer die ihm eignen Strophen derart abändert, daß von einer Aufeinanderfolge beſtimmter Töne kaum die Rede ſein kann. Lautet der Sthlag der Nathtigall wie eine beſtimmte, mit verſchiedenen Einſchaltungen und Vertönungen verwebte Weiſe, ſo erſcheint der Schlag des Sproſſers wie ein Recitativ, in welchem der Tondichter dem Sänger außerordentliche Freiheiten des Vortrages geſtattet hat, und von denen dieſer ſol< ausgiebigen Gebrau<h macht, daß man bei verſchiedenen Wiederholungen desſelben Stückes, je nah Stimmung und Gefühl vorgetragen, dieſes oft gar nicht wiedererkennt: ſo wunderbar verändert der ausübende Künſtler. Der Eindru> iſt natürlich tiefer, wenn anſtatt der erwarteten Töne, Takte und Strophen ganz andere, neu aus dem Tonſchaze gebildete Vertönungen folgen. Und darum gebe ih dem Sproſſer den Vorzug vor der Nachtigall, weil ex nicht allein Sänger, ſondern auh Tondichter iſt, weil er die ihm verliehenen Töne ſelbſtändig je nah Stimmung verändert.“
Erdgewürm mancherlei Art und Kerbtierlarven, die des Schattenkäfers, der Ameiſen 3. B., oder kleine, glatthäutige Räupchen und dergleichen, im Herbſte verſchiedene Beeren, bilden die Nahrung der Nachtigallen. Sie leſen dieſe vom Boden auf und ſind deshalb gleih bei der Hand, wenn irgendwo die Erde aufgewühlt wird. Nach fliegenden Kerfen ſicht man ſie: ſelten jagen. Faſt jeder Fund wird dur< ausdru>svolles Aufſ<hnellen des Schwanzes begrüßt.
Die Nachtigallen erſcheinen bei uns in der lezten Hälfte des April, je nah der Witterung etwas früher oder ſpäter, ungefähr um die Zeit, in welcher der Weißdorn zu grünen beginnt. Sie reiſen einzeln des Nachts, die Männchen voran, die Weibchen etwas ſpäter. Zuweilen ſieht man am frühen Morgen eine aus hoher Luft herniederſtürzen, einem Gebüſche ſih zuwendend, in welchem ſie dann während des Tages verweilt; gewöhnlih aber bekunden ſie ſih zuerſt dur ihren Schlag. Eine jede ſucht denſelben Waldesteil, denſelben Garten, dasſelbe Gebüſch, in welchem ſie vergangene Sommer verlebte, wieder auf; das jüngere Männchen ſtrebt, ſih in der Nähe der Stelle anzuſiedeln, wo ſeine Wiege ſtand. Sofort nah glü>liher Ankunft in der Heimat beginnt das Schlagen; in den erſten Nächten nach der Nückkehr tönt es ununterbrochen, wohl, um der Gattin, welche oben dahinzieht, im nächtlihen Dunkel zum Zeichen zu dienen, oder in der Abſicht, ein noh freies Herz zu gewinnen. Das Pärchen einigt ſih niht ohne Kampf und Sorge; denn jedes unbeweibte Männchen verſucht einem anderen Gattin oder Braut abwendig zu machen. Wütend verfolgen ſih die Gegner, mit „ſchirkendem““ Gezwitſcher jagen ſie dur<h das Gebüſch, bis zu den Wipfeln der Bäume hinauf und bis zum Boden herabſteigend; ingrimmig fallen ſie übereinander her, bis der Kampf entſchieden und einer Herr des Plabes und wahrſcheinlich auh — des Weibchens geblieben oder geworden iſt. Die Nachtſtunden, der frühe Morgen