Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

504 Erſte Drdnung: Baumvögel; achtundzwanzigſte Familie: Spechte.

betrachtete und einigemal vom Baume abflog, ehe er den Mut hatte, ſi dem verfänglichen Loche zu nähern. Endlich hing er ſih davor, gu>te ein-, zweimal hinein, fühlte die Schlinge um den Hals, wollte entfliehen, kam aber mit gräßlihem Geſchrei, den Bügel am Halſe, herabgeflattert und war gefangen. Jh behielt ihn nur einen Tag lang und ließ ihn dann wieder fliegen. Er ſcheute nun den verhängnisvollen Baum auf lange Zeit, ging aber doh na< Verlauf von mehreren Wochen allabendlih wieder in ſeiner Höhle zur Ruhe.“ Ferner bemerkt Naumann noh: „Der Grünſpecht iſt ein ſo ſtürmiſcher, unbändiger Vogel, daß man an Zähmung eines Alten gar niht denken darf. Man hat es verſucht und ihn an ein Kettchen gelegt; aber der Erfolg war immer ein baldiger Tod des ungeſtümen Gefangenen. Aus einem hölzernen Vogelbauer helfen ihm ſeine kräftigen Schnabelhiebe ſehr bald, und läßt man ihn in die Stube, ſo klammert ex ſi<h an allem an und zermeißelt das Holzwerk. Daß ſie ſi, jung aufgezogen, leichter zähmen laſſen, mag ſein; mix iſt aber kein derartiger Fall bekannt geworden.“

Aufgemuntert dur< meine Erfolge bei Aufzucht der Schwarzſpechte, habe ih auc den Grünſpecht zeitweilig gepflegt, kann aber niht ſagen, daß er mir Freude bereitet hätte. Sein Benehmen war im weſentlichen das des Schwarzſpechtes, die an den Käfigen von ihm bethätigte Zerſtörungsluſt niht geringer als bei dieſem. Zu voller Munterkeit aber gelangten meine Pfleglinge niht, obgleih i< ihnen Ameiſenpuppen bot, ſoviel ſie deren bedurften. Auch Liebe hat dieſelbe Erfahrung machen müſſen wie ih: die von ihm mit größter Sorgfalt gepflegten Grünſpechte ſind niht alt geworden.

Unter unſeren Raubvögeln gefährdet wohl nur der Hühnerhabicht den Grünſpecht ernſtlih. Gegen die Edelfalken, die bekanntlih bloß fliegende Beute aufnehmen, ſchüßen ihn die Baumſtämme, zu denen er angeſichts eines ſolchen Räubers ſofort flüchtet, und die er dann ſo raſh umklettert, daß ein minder gewandter Vogel als der Habicht ihm nicht beizukommen vermag. Dieſer freilih führt im Fluge ſo kurze Shwenkungen aus, daß er wohl zum Ziele gelangen mag. Darauf hin deutet wenigſtens das ängſtlihe Schreien, das der Grünſpecht beim Anblicke dieſes fur<htbaren Räubers wie auch des Sperbers ausſtößt. Andere größere Waldvögel, beiſpiel8weiſe Krähen, ſtoßen wohl auh einmal ne>end auf ihn herab; zu ernſtlihen Kämpfen mit ihnen kommt es aber niht. Dagegen kann es gelegentlich ſeiner Wühlereien in Ameiſenhaufen geſchehen, daß er wiederum in Streitigkeiten gerät, die man ſonſt niht beobachtet. So ſah Adolf Müller einen Nußhäher, nachdem dieſer neugierig die Arbeit eines in beſhriebener Weiſe beſchäftigten Grünſpechtes beobachtet hatte, allmählih näher kommen und plößlih dem Spechte ſi<h zum Kampfe ſtellen. Beide Vögel griffen gegenſeitig an und verteidigten ſi< mit gleicher Geſchi>klichkeit, bis der Häher Verſtärkung herbeiholte und mit fünf anderen ſeiner Art den Grünſpecht in die Flucht trieb.

Von den Menſchen hat dieſer niht mehr als andere Spechte zu leiden, obgleich er zuweilen die Rachſucht eines Zeidlers, deſſen Bienenſtöcke er ſhädigte, heraufbeſhwört. Verderblicher als alle Feinde wird dem Grünſpechte der Winter. Wenn tiefer Shnee den Boden bede>t, tritt bald Hungersnot ein, und nur da, wo alte große Bäume wirtlih mit der în ihrem morſchen Holze verſte>ten Kerbtierbevölkerung aushelfen, überſteht er ohne Schaden die unfreundlihe Jahreszeit. Bei plößlich ſich einſtellender Kälte und tiefem Schneefalle begegnet man ihm dann nicht ſelten in alten Hohwaldungen, zuweilen in Menge. So beobachtete Snell, daß in dem Winter von 1860/61 ein uralter Eichwald faſt alle Spechte der Umgegend in ſih verſammelte. „Man hörte“, ſagt er, „in jenen Tagen vom Morgen bis zum Abend ein Hämmern und Pochen, ein Shwirren und Schreien, daß ſelbſt die ſtumpf: ſinnigſten Bauern, die des Weges vorüberzogen, aufmerkſam wurden und ſtehen blieben.“ Jn Gegenden, in denen es ſolche Waldungen niht gibt, nimmt man nach harten Wintern erſichtliche Abnahme der Spechte wahr. „Jh ſelbſt habe“, berichtet Liebe, „zu ſolcher