Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, str. 272

232 Muſchellinge. Zweite Klaſſe: Armfüßer.

Wir waren, um die dem Auge der zoologiſchen Laien gänzlih entrücten Muſchelwürmer dem Leſer näher zu bringen, von der heute am weiteſten verbreiteten Familie dex Terxebrateln ausgegangen. Wir dürfen nun, nachdem wix ihren Bau und die gewiß höchſt merkwürdigen Beziehungen zu den unverfälſchten Ningelwürmern kennen gelernt, uns etwas näher mit ihrem Vorkommen jeßt und früher und ihren beſcheidenen Lebensäußerungen bekannt machen unter Hinzuziehung der Repräſentanten einiger anderen Familien.

Auf meiner norwegiſchen Reiſe im Jahre 1850 hatte ih Gelegenheit, mir mehrere Gattungen mit dem Schleppnebe lebend vom Meeresgrunde zu verſchaffen. Beſonders reich an Terebratula yitrea und Terebratulina caput serpentis erwies ſich der einige Meilen unterhalb Hammerfeſt liegende Öxfjord. Meine kurz darauf veröffentlichten Beobachtungen find ſpäter dur die Mitteilungen Baretts über die Lebensweiſe der leßtgenannten Art vervollſtändigt worden. Er ſagt darüber: „Dieſe Art zeigt ſih öfter, als irgend eine andere, und ſtre>t au< ihre Cirren weiter heraus; ſie fand ſi<h überall (an der norwegiſchen Küſte) in geringer Anzahl, 30—150 Faden tief, oft an Deulinen, einer Koralle, befeſtigt. Die Cirren auf dem aufſteigenden Teile der Arme ſind kürzer als auf dem abſteigenden Teile derſelben; ſie waren faſt fortwährend in Bewegung, und oft bemerkte man, daß ſie kleine Teilchen in den an ihrer Baſis befindlichen Kanal leiteten. Jn ein Gefäß mit Seewaſſer gebracht, öffneten ſie allmählich ihre Klappen. Fndividuen, welche an fremden Gegenſtänden haften geblieben waren, offenbarten eine merkwürdige Fähigkeit und Dispoſition, ſih auf ihrem Stielmuskel zu bewegen. Abgelöſte Exemplare konnten hin und her bewegt werden, ohne daß hierdur< das Tier veranlaßt worden wäre, ſeine Klappen zu ſchließen. Wurden einzelne der hervorgeſtre>ten Cirren berührt, ſo zogen ſie ſich ſogleich zurü>, und das Gehäuſe ſchnappte zu, öffnete ſih jedo<-bald darauf wieder. Sind die Arme zurü>gezogen, ſo ſind die Cirren nah einwärts gebogen; öffnet ſi<h aber die Schale, ſo ſieht man die Cirren ſi<h aufbiegen und gerade werden; oft bemerkt man jedo<, daß das Tier vor dem Öffnen einige wenige Cirren hervorſtre>t und hin und her bewegt, gleihſam un zu prüfen, ob keine Gefahr drohe. Nur bei einer Gelegenheit wurde eine Strömung bemerkt, welche zwiſhen den beiden Reihen von Cixren ſi< hineinbewegte. Jh hatte verſuht, das Daſein von Strömungen feſtzuſtellen, indem ih mit einem Pinſel kleine Mengen von Jndigo in das Waſſer, welches das Tier umgab, brachte; dreimal wurde es mit Gewalt hineingezogen, und man ſah dabei Teilchen von Fndigo dur den Kanal an der Baſis der Cirren in der Richtung des Mundes dahingleiten.“ Wir brauchen kaum zu wiederholen, daß dieſe Strömungen durch die unſichtbaren Flimmerhärchen erregt werden.

Auch über eine andere Terebratel der nordiſhen Küſte, Waldheimia cranium, berihtet Barett: „Sie fand ſi<h mehrere Male zwiſchen den Vigton-Jnſeln und den Nordkap in 25—150 Faden Tiefe, an Steinen, Valanen und anderem befeſügt. Sie gehört zu den Terebratuliden mit langer Schleife, und die Mundanhänge ſind an dieſes falkige Skelett ſo befeſtigt, daß ſie unfähig ſind, ſih zu bewegen, es ſei denn an ihren ſpiralig eingerollten Enden. Man hat vermutet, daß dieſe aneinander gefügten Spiral: enden aufgerollt werden fönnten, etwa wie der Rüſſel eines Schmetterlinges, aber ih habe nie etwas dergleichen beobachtet. Dieſe Art iſt lebhafter als ‘Terebratulina caput serpentis, bewegt ſih oft auf dem Haftmusfel und iſt auch leihter alarmiert. Die Cirren treten niht über den Rand des klaffenden Gehäuſes hervor; wenn die Schale ſich hließt, find ſie zurü>kgebogen.“

Auf der Grenze der Familie der Terebrateln ſteht die Gattung Thecidium, ausgezeichnet dur eine ganz eigentümliche Entwickelung des kalkigen Armgerüſtes. Sie iſt in der heutigen Welt nur ſparſam vertreten, namentli<h das im Mittelmeer lebende Thecidium mediterranenm, welhes Lacaze-Duthiers in einer ausgezeihneten Monographie