Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, str. 275
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Nhynchonelliden. Linguliden. Disciniden. 235
gehalten. Auch ſtüßen ſich die fleiſchigen Spiralarme nur auf einen naſenförmigen Fort: ſaß im Mittelpunkte der Bauchklappe. Die bekannteſte der vier lebenden Arten iſt Crania anomala aus unſeren nördlihen Meeren, welche faſt ſtets in Geſellſchaft von Verebratula caput serpentis gefunden wird, derſelben jedo<h weder in die Meere des borealen Nordamerikas noch in das Mittelmeer folgt. Man kennt ſie noh nict im foſſilen Zuſtande, und Sueß hat daher vermutet, „daß ihre Entſtehung in eine jüngere Zeit falle, und ſie jene Erſcheinungen nicht erlebt habe, welche es der Terebratula caput serpentis mögli gemacht haben, nah Nordamerika zu kommen, und welche in einem fortlaufenden Uferrande oder einer zuſammenhängenderen Jnſelkette zwiſchen dieſem Weltteile und dem unſerigen beſtanden zu haben ſcheinen. Dagegen deutet ihr Auftreten in der Vigo-Bucht (Spanien) darauf hin, daß ſie den allmählihen RNü>zug der nördlichen ¡ Bevölkerungen aus dem mittleren Europa wenigſtens teilweiſe mitgemacht habe.“
Die Brachiopoden, von denen wir bisher gehandelt, gehören, gleich den übrigen mit Kalkgehäuſe, mit wenigen Ausnahmen dem tieferen Meeresgrunde an. Anders verhält es ſih mit zwei anderen Gruppen, den Linguliden und Dis- ‘ ciniden. Jhre Schalen ſind von horniger Beſchaffenheit, ſie A E mit bewohnen vorherrſchend und in großer Fndividuenzahl die Uferzone und ſind zugleich an die wärmeren Meere gebunden. Am bekannteſten aus der erſteren Familie iſt die Sippe Lingula.
Die Shale der Lingula iſ dünn und hornig, faſt biegſam und von grünlicher Farbe. Die Klappen ſind niht aneinander eingelenkt und faſt gleich, auch bieten ſie im Fnneren feine Fortſäße zur Stüße der di>en, fleiſchigen und ſpiraligen Arme dar. Über das geologiſche Vorkommen der Lingula- Arten ſagt Sueß: „Dieſe Sippe tritt, wie diejenige der Discina, ſchon in den älteſten verſteinerungsführenden Ablagerungen in niht geringer Artenzahl auf. Seit jener Zeit hat ſie ſi< dur<h alle Formationen hindur< bis auf den heutigen Tag erhalten, ohne in irgend einer Zeitepoche ein auffallendes Maximum zu zeigen.“ — Es lebt heute feine Lingula in den europäiſhen Meeren, aber an der amerikaniſchen Küſte findet ſi< die Lingula pyramidata (ff. Abbild. S. 236), an welcher Morſe intereſſante Beobachtungen machte. Jhr Stiel iſt neunmal fo lang wie der Körper, wächſt nicht an, iſ wurmartig beweglih und hat die Fähigkeit, ſo wie gewiſſe Würmer Röhren aus Sand anzufertigen. Sowohl im natürlichen Zuſtande als in der Gefangenſchaft, wenn man ihnen Sand gibt, machen ſie Höhlungen, in welche ſie ſih zurücßziehen. Fndem ſie alsdann dur< Übereinanderlegen der Borſten des Mantelrandes ein feines Sieb bilden, verhindern ſie, daß mit dem Waſſer Sandkörner in die Kiemen geraten. Die über: einander ſich erſtre>Œenden Röhren ſehen aus wie die einer Terebelle.
Morſe iſt der Meinung, daß wenigſtens Tingula pyramidata ihr Leben nicht über ein Fahr bringt. Mehrere hundert im Juni und Juli geſammelte Exemplare waren alle von gleicher Größe und ihre Schalen von gleihmäßig friſhem Ausſehen. Der Schluß, daß alle au< von gleichem Alter ſeien, lag nahe. Die während des Sommers geſammelten und gehaltenen Tiere ſtarben Ende September unter ähnlihen Erſcheinungen, wie ſie auh nah den Unterſuhungen von Williams den natürlichen Tod gewiſſer Ringelwürmer (Naïs, Arenicola) begleiten.
Aus der Einfachheit der Schale der Lingula, die ſi< am beſten mit knorpeligen Vildungen am Vorderende einiger Kopfkiemer unter den Boxrſtenwürmern vergleichen läßt,