Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, str. 690

Vorkommen und Eigenheiten der Schwämme. 627

Auch ih habe mein Teil dazu beigetragen, die Formenmenge der Spongien der europäiſchen Meere und des Atlantiſ<hen Dzeans ſyſtematiſch zu bewältigen und dem Verſtändnis zuzuführen. Jh wurde bald darauf aufmerkſam, daß die Shwämme, wie keine andere Klaſſe der niederen Organismen, von höchſter Wichtigkeit für die Abſtammungslehre wären, da man an ihnen auf das Élarſte die Abhängigkeit der Geſtaltung von den wechſelnden äußeren Verhältniſſen, die Anpaſſung an die gegebenen Bedingungen, die nah Ort und Klima ſih rihtende Abänderung, mit einem Worte die Artveränderung beobachten und ſtudieren kann. Jh wies nah, daß man dieſe Umwandlungen an den mikroſkopiſchen Beſtandteilen der Shwämme verfolgen könne. Seitdem dann Hae>el ſeine bewundernswürdige Monographie der Kalkſhwämme geſchrieben, 1872, iſt es allgemein anerkannt, daß das Studium dieſer Weſen ganz beſonders wichtig und intereſſant ſei.

Schon aus den Unterſuchungen des Engländers Flemming im erſten Viertel unſeres Jahrhunderts hatte ſih unbeſtreitbar ergeben, daß die Shwämme tieriſhen Charakter an ſih tragen. Es fragte ſi< nux, ob ſie auf jener Grenze ſtehen, wo das Tierreich ſich in ein unentſchiedenes, zwiſchen die wahren Tiere und die wahren Pflanzen eingeſchobenes Mittelreih der Urweſen oder Protiſten verliert, oder ob ſie ſih zur Höhe der Cölenteraten erheben.

Leu>art, Hae>kel, Marſhall huldigen ſowohl aus entwi>elungsgeſchichtlichen wie anatomiſchen Gründen leßterer Anſicht, F. E. Schulze, einer der beſten Spongienkenner und Zoologen überhaupt, ſpricht ſih zwar niht ganz beſtimmt aus, ſcheint aber geneigt, die Shwämme für einen Tierkreis eigner Art anzuſehen, worin ihm Sollas und Vosmaer folgen. Bütſchli {ließt ſih einigermaßen einer älteren Anſicht des Amerikaners Fames Clark an, welcher die Spongien für Kolonien beſonderer, ſpäter noh zu erwähnender Urtiere (Chonoflagellaten) hielt. Früher wurden die Shwämme von den Naturforſchern, welche niht an die vermeintlihe Pflanzennatur derſelben glaubten, überhaupt als Kolonien von Urtieren, wenn auh in anderem Sinne als von Clark und Bütſchli, angeſehen. Es ſollten Aggregate von Zellen ſein, deren jede etwa einer Amöbe zu vergleichen wäre. Wie hoch verhältni8mäßig die Arbeitsteilung auh in dem Gewebe dieſer Tiere fortgeſchritten ſei, davon überzeugte man ſih erſt ſpäter. Anatomiſch und entwid>elung8geſchihtlih iſt nahgewieſen, daß ſih der Leib der Spongien aus denſelben drei Keimblättern aufbaut, wie ſie für die höheren Tiere charakteriſtiſ<h ſind, daß jene mithin wenigſtens Urtiere oder Kolonien von Urtieren niht ſein können. Was uns veranlaßt, ſie als Cölenteraten anzuſehen, können wir an dieſer Stelle, als außerhalb des Planes dieſes Buches fallend, niht entwi>eln.

Woran erkennt man denn nun eigentlih einen Shwamm? wird ungeduldig gefragt. Um dieſe Frage zu beantworten, wollen wir an die volkstümlichſte Geſtalt aus dem Schwammreiche, an den in jedermanns Händen befindlihen Badeſhwamm anknüpfen. Doch — da haben wir uns ſhon von vornherein ungenau ausgedrü>t! Nicht der Badeſ<wamm iſt in jedermanns Hand, ſondern nur ein Teil von ihm, nämlih ſein Skelett. Dasſelbe iſt ein ſehr elaſtiſhes, von größeren und unzählbaren kleineren Poren und Kanälen durcſeßtes und durhzogenes, aus einer hornigen, Spongin genannten Subſtanz beſtehendes Faſergerüſt. Das Spongin iſt dem Chitin, dem Stoff, welcher die hornige Grundlage des Hautpanzers der Krebſe, Jnſekten, dann der Seide 2c. bildet, hemiſh am nähſten verwandt. Das Spongin enthält auh einen niht unbedeutenden Prozentſaß Jod und war daher in früheren Zeiten ein als „spongiae ustae“ allerdings zufällig aufgefundenes und rein empiriſ<h angewendetes Heilmittel (denn das Element Jod oder Jodin war damals noh unbekannt und wurde erſt 1811 von Courtois entde>t) gegen den Kropf. Dieſe Faſern werden von beſonderen, als Drüſen wirkenden, gruppenweiſe zuſammentretenden Zellen (Spongioblaſten) gebildet, welhe im Parenhym des Schwammes

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