Charakterologie

238 Die Charafterlehre der Individualpfychologie

das unerreihbar it, und daß er es auf indirekte, oft paradore Weije verfolgt. Das Grundjchema aber der Charafterbildung gilt aud) für den gejunden Charakter. Aud) er formt jic} als Reaftion des Madıttriebes auf Minderwertigfeit und auf die Unterdrüdung durch die Umwelt. Wir alle leben in einem einheitlichen Ne von Leitlinien: Ich will wie mein Dater jein, ic} will über meinem Bruder jtehen, ich will männlid) fein, ic} will nicht die Rolle der Stau jpielen ujw. Und jede diejer Leitlinien gründet in einem Minderwertigfeitsgefühl, das Ietten Endes wieder auf Organminderwertigteit zurüdgeht. S.44 der 3. Auflage jagt Adler: „Die neurotijche Piyche charafterijiert ich bloß durdy jtärferes Haften an der Zeitlinie, durd) jtärfere Einfühlung in diefelbe. — Noch) deutlicher wird dies in der Piychoje, wo die Leitlinie haarjcharf hervortritt.” Der Grundeindrud ift, dab wir alle, mögen wir nod) jo bedeutend fein und uns noch fo frei und originell vorfommen, doc) eigentlidy recht arme Teufel find, und dak wir gerade in unjeren jtolzeiten Aufjhwüngen nur das Produft mechaniitiiher Gejege der Kompenjationen jind. Im Dorwort jagt er, daf diejer „einheitlich gerichtete” Lebensplan „in der Piychologie der Neurofen und DPiyhofen nur deutlicher zutage” träte, da aber in jedem piychiichen Gejhhehen ein Abdrud, ein Symbol diejes Lebensplanes zu jehen jei. Das Bild der Seele bei Adler ijt jedenfalls das einer fomplizierten und raffinierten Re-aftionstehnif auf (eingejtandene oder unbewuhte) Minderwertigfeitsgefühle. Don der freien Aftion, von einer beitimmten Kraftentfaltung und Leijtung, die jic) nicht auf der Grundlage einer Minderwertigfeit aufbaut, ijt nicht die Rede.

heute ijt die Individualpjychologie in ihren beiten Dertretern eine gänzlich pojitive, lebenssoptimijtifhe und ausgejprodhen jtolze Lehre, der man eher vorwerfen Tann, dab jie in zu eindeutigem Raditalismus immer nur die Würde und die Sreiheit der menjdlichen Seele be= tont und darüber zuweilen die andere Seite: Mechanijierung, Objeftivierung, Derfejtigung zu gejegmähigen Abläufen zu wenig berüdjichtigt.

Über welche fachlichen Gedanfenbrüden führt diefe Wandlung?

c) Die therapeutifhe Lehre der Individualpjychologie als Brüde zu ihrer jegigen $orm.

Adlers Lehre jollte nicht nur diagnoftizieren und verjtehbar machen, jondern vor allem zur Heilung verhelfen. Wie fonnte nad) diejen Gedanten nur geheilt werden? — Indem die Unechtheit aufgehoben wurde, indem der Patient zur Einficht gebracht wurde, daß feine Krantheitserjcheinungen im Dienite bejtimmter überfompenjierender Tendenzen jtanden. Der Einlicht