Die Physiognomie des Menschen

Aristoteles leitet die helle Stimme von der Schwäche des Atems ab, deretwegen alle unreifen Knaben, Weiber, Greise und Verschnittenen eine helle Stimme haben. Bei starken Männern, die kräftig atmen und viel Luft einziehen können, wird diese Luft nur langsam bewegt und die Stimme dadurch schwer. Schnelle Bewegung der Luft läßt eine zarte Stimme entstehen. An anderer Stelle gibt er die Schwäche der Luftwege als Grund an sowie die Kleinheit der Durchgänge, durch die die Stimme ihren Weg nimmt. Galen führt die helle Stimme auf die Enge des Schlundes zurück, die auf der angeborenen Kälte beruhe. Homer vergleicht alte Leute mit den hellzirpenden Grillen. Plutarch gibt als Ursache dieser Stimmart die Dürftigkeit des Atems an, die Platoniker den Überfluß an Feuchtigkeit, die das Luftrohr verdicke und verengere; daher hätten die Weiber und Verschnittenen eine helle Stimme, die Männer, bei denen die Luftdurchgänge freier und offener seien, eine tiefe, schwere. Daß bei Weibern und Verschnittenen wegen ihrer Kälte eine übermäßige Menge von Feuchtigkeit entsteht, geht auch daraus hervor, daß sie oft fett werden. Vitruvius erzählt, die Bewohner der südlichen Länder hätten allesamt sehr helle Stimmen. Durch einen Versuch lassen sich diese Verhältnisse verdeutlichen. Wenn man von zwei im gleichen Ofen gebrannten, gleich schweren Krügen, die beim Beklopfen denselben Klang geben, den einen in Wasser steckt und hinterher wieder beide Krüge beklopft, so werden sie verschiedenen Klang haben, und auch ihre Gewichte werden nicht mehr übereinstimmen. So haben die Menschen der heißen Länder eine scharfe, helle Stimme, die der feuchten Länder eine schwere. Die Völker des Nordens und die Weiber haben nach Albertus eine hellere Stimme als die Südländer, und zwar weeen der Weichheit und Enge ihrer Lunge und Luftröhre. Die Durchfeuchtung der Atemwerk-

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