Die Physiognomie des Menschen

zeuge macht die Stimme weich, die Schwäche und Entspannung macht sie schwach. Die Stimme von Kranken wird schärfer und heller, weil Austrocknung die Durchgänge verengert, oder weil starke Kälte und Durchfeuchtung entstehen. Bisweilen freilich verschärft sich die Stimme auch infolge von Stärke. Um die Tapferkeit des Menelaus hervorzuheben, sagt Homer, kein Schrecken könne seine Stimme mindern. Polemon und Adamantius schreiben dem Unverschämten eine scharfe Stimme zu. Der große Philosoph Phavorinus hatte eine solche Stimme und zu seinem größten Kummer keinen Bart und war weibisch, entartet und dermaßen wollüstig, daß er noch als

Verschnittener die Frau eines Ratsherrn verführt haben soll.

Die helle, abgespannte Stimme:

Sie kennzeichnet den Furchtsamen, wie die angespannte Stimme den Tapferen, schreibt Aristoteles. Polemon und Adamantius eignen dem Furchtsamen eine helle, weiche, d. h. abgespannte Stimme zu.

Die scharfe, laute Stimme:

Nach Aristoteles kommt sie Unwilligen und Zornmütigen zu, die angespannt und scharf reden. Es scheint hier ein Widerspruch zu unserer vorigen Angabe vorzuliegen, da wir die scharfe, helle Stimme ein Zeichen der Schwäche nannten, während die Jähzornigen und Unwirschen stark zu sein scheinen. Diese Bedenken beseitigt Aristoteles, wenn er in seinen „Problemen“ sagt: Mit heller Stimme singen und reden ist zweierlei, alles Schwache hat eine helle Stimme, weil es nicht viel Luft in Bewegung setzen kann, z. B. haben die Schwindsüchtigen und Hinfälligen helle Stimmen. Hell singen aber können nur kräftige Leute. Denn wie sich schnell vollendet, was sich schnell bewegt, also ist auch das Helle von guten Kräften,

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