Europa und Asien : oder Der Mensch und das Wandellose : Sechs Bücher wider Geschichte und Zeit

Der Tod des Eros.

‚Die Wüste wächst, Weh dem. der Wüste birgt.‘

Nietzsche, Zarathustra.

Kennt Ihr die heiligende Flamme, ihrem Wesen nach: zeitlose Dauer und Gegenpol verneinenden Geistes, jenes einzige übersinnliche Erlebnis, welches auch noch in das unbedeutendste nüchternste Leben einen Strahl wirit aus Ewigkeit zu Ewigkeit? Mußte dieser Strahl zersplittern in das reizende Kantglasgefunkel einer tausendfältig gebrochenen Buntheit? . .

Es ist nie genug beachtet worden und kann doch nicht genug beachtet werden, daß die selben Tiergeschlechter, welche in ungestörter Freiheit, von der sicheren Treue eines Urtriebes getragen, paarweise darleben ihr gewaltig vereinheitlichtes Liebesleben, in der Verhäuslichung und Verbürgerlichung alsbald dieses Liebesleben zerbröckeln zum wahllosem Alle-Bäumchen-Wechseln- Sich -Spiel der natur- und triebverarmten Gesellschaft. Der selbe Hahn, welchen wir kennen als einen ahnherrliichen Harembesitzer von zehn beglückten Hennen, horstet in der Freiheit, ein wahrer Dämon an Geschlechtsgewalt, nur mit einer einzigen Henne, um die er bis zur Preisgabe des eigenen Lebens besinnungslos-besessen blindwütig wirbt. — Die wilden Tauben galten der Vorwelt mit Recht als die wahren Vögel der Liebe; denn Männchen und Weibchen sind im Dienste des Naturtriebs so innig gebunden, daß kaum eines das andere zu überleben pflegt. Sie bauen aui das sauberste ihr Nest und halten sich auf das sorglichste die Treue. Was aber wurde aus der wilden Taube auf grund der die Natur verbessernden, nach Darwins Verzeichniss nahezu 200 neue Arten ersinnenden Menschenzucht? Der verbuhlteste aller Vögel: futterneidisch, liederlich, unsauber und so proletarisch im Nestbau, wie das verkommene, den Menschenstädten angepaßte gemeine Spatzenvolk. — Selbst die stolzesten einehigen und einsiedlerischen Geschöpfe, wie Löwe und Tiger, lassen sich in Gefangenschaft schnell und leicht zur Zerbröckelung des Geschlechtsdämons verbilden.

Sollten nicht diese Erfahrungen stutzig machen? Können sie nicht beleuchten die wahre Natur einer menschlichen Etik und Logik, welche mit der Zucht eben auch die Unzucht in die Welt gebracht hat!?