Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
A. Die Kongreſſe. 95
ſchlimme Botſchaften für die Fanatiker des ſtarrſten Abſolutismus. Zar Alexander konnte ſein Temperament kaum zügeln. Als er von dem Umſturze in Spanien hörte, wollte er am liebſten ſofort losfahren, um dem Volke ſeinen Erfolg ſtreitig zu machen. Diesmal jedoch winkte Metternich ab, weil er die Verſtärkung des ruſſiſchen Einfluſſes nicht dulden mochte. Als der Miniſter aber von der Re= volution in Süditalien erfuhr, da fand er plöglich, daß der Augenbli> gekommen ſei, in Aktion zu treten. Metternich dachte aller= dings an ein ſelbſtändiges Einſchreiten Öſterreichs, womit er egoiſtiſche Zwe>e verband. Doch die andern Großmächte und die italieniſchen Fürſten rochen den Braten und hemmten den Tatendrang des Miniſters. Frankreichs König ſtellte den Antrag, daß ein allgemeiner Kongreß einberufen werden möge, um in Neapel Ordnung zu ſchaffen. Noch beabſichtigte Ludwig XVIII. nicht, das Königreich beider Sizilien in den Abſolutismus zurü>zuwerfen, ſondern er wollte bloß die ſpaniſche Verfaſſung, die das Volk mit größerer Macht als den Herrſcher ausſtattete, beſeitigen und einen begrenz=teren Konſtitutionalismus einführen helfen.
Vom 23. Oktober ab tagte in dem kleinſtädtiſchen Tro p pau wieder ein Kongreß. Außer den Kaiſern von Öſterreich und Rußland und dem König von Preußen waren noch andere Fürſtlichkeiten herbeigeeilt. Unter den Diplomaten ragten neben Metternich Neſſelrode und Capodiſtria als Vertreter Rußlands, Hardenberg und Bernſtorff als die Wortführer Preußens hervor. Auch England und Frankreich hatten ſich eingeſtellt. Der öſterreichiſche Miniſter des Äußern beanſpruchte für ſeinen Staat das Recht der bewaffneten Juntervention in Neapel, während der Zar Alexander nun für ein gemeinſames Vorgehen der europäiſchen Großmächte eintrat. Der König von Preußen verhielt ſich paſſiv, denn ſich ſtark zur Geltung zu bringen, war nicht ſeine Sache. Metternihs Ausſichten ſtanden einen Augenbli> ſ{le<t. Da erbarmte ſich das Glück wieder ſeiner. Früher als der Zar hatte er von einer kleinen Meuterei in einem ruſſiſchen Garderegiment Nachricht erhalten, und als er mit dieſer Kunde zu Alexander kam, benüßte er die Überraſchung des faiſerlichen Herrn, um das Schre>geſpenſt der Revolution aufſteigen zu laſſen und es in grauenerregender Furchtbarkeit hinzuſtellen. Der verlegene und ergrimmte Zar ließ ſich überreden; noh mehr, er tat faſt Buße für das, was er in den Jahren ſeiner liberalen Geſinnung — wie er meinte — Schlechtes angerichtet hatte. Gegen die „revolutionäre Seuche“ ſollten umfaſſende Vorkehrungen getroffen wer-