Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

B. Napoleons Niederlage. 53

erfuhr durch den harten Sinn Napoleons eine Trübung, aus der allmählich offene Feindſchaft entſtand. Doch im Jahre 1811 — am 20. März — wurden in Paris die Kanonen geladen, um diesmal dur< 101 dröhnende Schüſſe eine Botſchaft friedlichen Glückes zu verkünden: Napoleon hatte einen Sohn erhalten, der ſchon in ſeiner Wiege den pompöſen Titel eines Königs von Rom erhielt und der zulegt als Herzog von Reichſtadt noh im Jünglingsalter in Schönbrunn hinſiehen mußte. Für den Thron geboren, für die Übernahme einer Weltherrſchaſt beſtimmt, ſollte er als unglü>licher Privatmann, dem nichts als himmelſtürmende Gedanken geblieben waren, ein rührendes Ende nehmen. Zuerſt genoß Napoleon alle Wonnen des Vaterglüces, der Erfüllung des heißeſten Wunſches. Die von ihm gegründete Dynaſtie brauchte jezt nicht mehr zu verkümmern; für die glißernde Krone des Kaiſers von Frankreich war ein würdiger Träger da. Nun erſt hatten Napoleons Taten den richtigen Zwe>, nun erſt erwachte in ihm die Luſt ſo ret, den Kreis ſeiner Eroberungen zu vergrößern und ſeinem Sohne die Herrſchaft über die Welt — nah Jndien ſchweifte bereits der Blik des Korſen — zu hinterlaſſen. Keinen grimmigeren Feind kannte Napoleon als England, deſſen Vernichtung ſein Sinnen und Trachten galt. Aber erſt mußte er Rußland ſeine furchtbare Fauſt fühlen laſſen, weil der Zar die Häfen ſeines Landes den engliſchen. Waren nicht verſchließen wollte und dadurch der verderbenbringenden Waffe der „Kontinentalſperre““ die Spiße abſtumpfſte. Frankreichs Herrſcher rüſtete demnach zu einem gewaltigen Strafzuge na<h Rußland, für den er Bundesgenoſſen ſuchte. Der ſchwache König Friedrich Wilhelm TIT. von Preußen, der die ungeſtüme Macht Napoleons fürchtete und dem die verſchiedenen Eingebungen ſeines Herzens und ſeines Kopfes die Entſcheidung erſchwerten, \<loß nah Wohen der Zaghaſtigkeit und des Ausſpähens nach einer andern Lö= ſung im Februar 1812 ein Offenſiv-und Deſenſivbündnis mit Napoleon, das ihn von St. Petersburg losriß und mit Paris verknüpfte. Auf den Entſchluß des Königs, im bevorſtehenden Kriege mit Frankreich gemeinſam vorzugehen, iſt die Haltung Öſterreichs nicht ganz ohne Einfluß geblieben 1).

Auch in der Wiener Hofburg hatte Napoleon ſeine Fühler ausgeſtre>t. Zwiſchen Öſterreih und Rußland gab es tiefgreifende Gegenſätze, denn die orientaliſche Politik des Zaren verſtieß gegen

1) Auguſt Fournier, Napoleon I. Wien 1906. 3. Band.