Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.

TIT. Metternich gegen Deutſchlands Freiheit. ST

gärte es faſt überall, und die Staatsmänner, deren Denkkraſt und deren Willensſtärke zu ſhwach waren, um die beklagenswerten wirklichen Übelſtände auszurotten, verfielen abermals träg in die alte Gewohnheit, die Untertanen durch obrigkeitlichen Druck gewaltſam zur Ruhe zu bringen. Sie überlegten nicht, daß der Dru> irgendwie und irgendwann einen Gegendru> hervorrufen werde.

Jn dieſer Zeit der Umwälzungen rührte ſih Öſterreichs Bevölkerung nicht. Die Ständeverſammlungen waren zu Schattengebilden herabgeſunken und der ungariſche Landtag, der ſeit dem Fahre 1825 wieder arbeitete, beläſtigte noh niht allzuſehr. Großartig verrichtete die Polizei die ihr zugewieſene Aufgabe; ſie ſah alles, hörte alles und zögerte niht, mit rauher Hand dreinzufahren, wenn ſie einen ſtrafenswerten Sünder erſpäht zu haben meinte. Einen Einbli>k in das geheimnisvolle Getriebe der Behörde erhält man durch die folgende kurze aber troydem aufſhlußreiche Notiz des öſterreichiſchen Diplomaten Prokeſch-Oſten, der gewiß niht der Neigung zu boshafter Übertreibung beſchuldigt werden kann: „Die Briefauſmachung wird regelmäßig betrieben. Hier (in Wien) ſind 60 Perſonen damit beſchäftigt; viele Schriftſtücke werden aber ſhon an den Grenzen geöffnet. Die Polizei iſt vor vielen Jahren von Metternich abhängig gemacht worden. Der Kaiſer und ſein Adjutant bringen ein paar Stunden des Tages mit der Anhörung der Jnterzepte! zu 1). Mit ſcharfen Augen durchmuſterten die Zenſoren die vielen Manuſkripte, die ihnen zukamen; nur ſelten entging ihnen eine verdächtige Stelle. Unabhängige politiſche Zeitungen gab es in Öſter=reich überhaupt niht, und die Theaterſtücke, die auf die Bühne gebracht wurden, mußten ſich vorher eine ſorgfältige behördliche Reinigung gefallen laſſen, einerlei, ob ihr Verfaſſer Schiller oder Leſſing hieß oder ein einfältiger Poſſenſchmierer war. Einer beſonderen Aufmerkſamkeit erfreuten ſich die Hochſchulen. Man förderte zwar nicht ihre Blüte, ihre Entwicklung, doh man behorchte die Vortragenden, und wehe, wenn ein Wort über die Lippen ſprang, das zur konſervativen Weltanſchauung der Ordnungshüter nicht paßte. Aber wie ſonderbar ! Auf dieſer Jnſel konſervativer Seligkeit fühlten ſi<h nur die konſervativen Geiſter wohl, die im Laufe der Jahre ganz geiſtlos geworden waren. Geng, der ſi bei aller Charafkterloſigkeit ein wenig Scharfbli> bewahrt hatte, ahnte den Zuſammenbruch des wunderſchönen, leider nur ſchwachen Gebäudes; er fühlte das Nahen der Re-

1) Aus den Tagebüchern des Grafen Prokeſh von Oſten, Wien 1909.