Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

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rüſten, fonnte dies aber niht mit der nöthigen Kraft und Oeffentlichkeit thun, weil dies ſeinen friedlihen Verſicherungen zu ſehr widerſprochen haben würde. Dieſe doppelte Nolle, die er ſpielte, verlieh nicht nur feinex ganzen Lage etwas Schiefes und Halbes, fondern {<wäcte in ihm ſelbſt den Muth zu großen Entſchließungen, und ließ ihn über unerfüll= baren Erwartungen eine foſtbare Zeit verlieren.

Eine Zeit lang hatte Napoleon die Kenntniß von den Erklärungen und Beſchlüſſen des Wiener Kongreſſes gegen ihn den Maſſen in Frankrei zu entziehen gewußt. Als dies endli<h unmögli<h geworden, und er, da ſeine Eröffnungen von den fremden Mächten unerwiedert blieben, ſeine Eilboten an den Gränzen zurü>gewieſen wurden, die Wahrheit nicht länger verhehlen konnte, fo erſchrak die Nation um ſo mehr über den ſie von allen Seiten her bedrohenden Sturm, je weniger ſie dur<h Napoleon's Schuld auf den Ausbruch deſſelben vorbereitet war. Dieſes Spiel der Täuſchung war mehr eines Komödianten als eines Heros würdig. Napoleon mußte, da er wohl vorausfeßen konnte, daß ſeine Feinde ſeine zweite Herrſchaft no< weniger als die erſte ruhig anerkennen würden, gleih nach ſeiner Ankuuft in Paris die Begeiſterung der Einen, den Sthre>en der Anderen, die Ueberraſchung Aller dazu benutzen, um bis na erlangtem Frieden eine militairiſhe Diktatur an ſi zu reißen, eine allgemeine Bewaffnung anzuordnèn, wozu die Mittel vorhanden waren, und anſtatt den Angriff des Auslandes zu erwarten, demſelben zuvorkommen, und viel eher, als er gethan, an der Gränze erſcheinen. Die Verbreitung falſcher Friedenshoſfnungen unter einem Volke, das man zu einem Kampfe auf Leben und Tod führen wollte, und Berathun= gen über Verfaſſungs8entwürfe waren ſehr ungeeignete Vorkehrungen von Seiten eines Mannes, der gegen den Willen von ganz Europa einen ſhon einmal verlorenen Thron behaupten wollte. Er, der ſonſt immer das Nothwendige augenbli>li<h erkannt und blitßſ<hnell ausgeführt hatte, zeigte ſih gerade in der gefährlichſten Lage ſeines Lebens zögernd und unentſchloſſen. Es iſſt aber keiner menſchlichen Kraft, fo groß ſie auh ſein mag, gegeben, durchaus widerſtrebender Situationen Herr zu werden, und Napoleon befand ſi< während der hundert Tage in einem ſolchen Fall.

Während Napoleon von dem tödtlichen Haſſe der großen Mächte bedroht war, und in Frankreich nicht die begeiſterte Unterſtüzung fand, auf die er gerechnet hatte, verlor er den einzigen Bundesgenoſſen, den ex damals beſaß. Joachim Murat, König von Neapel, war von Napoleon's Abſicht, nah Frankreich zurü>zukehren, von Elba aus unterrichtet wor= den. Er ſah dies Unternehmen als ſein eigenes an, und machte von