Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

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Murat's Schilderhebung. 289

deſſen Gelingen ſeine Erhaltung abhängig, denn er wußte, daß auf dem Wiener Kongreß ſein Untergang beſchloſſen war. In der That hatte ſi ein franzöſiſhes Heer in Savoyen zu verſammeln angefangen, das, ſobald es die nöthige Stärke erreiht haben würde, Murat zu Lande angreifen, während ſi der vertriebene König Ferdinand mit engliſcher Hülfe von Sicilien aus gegen ihn in Bewegung ſegen ſollte. In Kalabrien glimmte das Feuer unter der Aſche und war Alles zum Aufſtande gegen den ausländiſchen König bereit. Oeſterrei<h hatte Murat zwar anerkannt, aber nicht zu vertheidigen verſprochen, und von England war im vorigen Jahre nur ein Waffenſtillſtand mit ihm abgeſchloſſen worden, fo daß es die Hände gegen ihn frei hatte. Ohne eine Veränderung in der Lage Europa?s war der König von Neapel verloren, und deshalb von ihm ſo begierig auf Napoleon's Eröffnungen eingegangen worden. Er hatte ſich den legten Winter übér auf den Krieg vorbereitet. Sein Heer war zahlrei, ſein Schaß hinreichend verſehen. Seine eigenen Hülfsmittel hätten deſſenungeachtet unzureichend erſcheinen können. Aber er re<=s nete auf die Unzufriedenheit der Italiener mit den ihnen wieder aufge= drungenen Regierungen in Rom, Modena, Turin, und auf die gereizte Stimmung in der Bevölkerung des lombardiſch= venetianiſchen Königrei= es, wo das meiſte Nationalgefühl lebte, und die fremde Herrſchaft unter den mittleren Klaſſen durhgängig, aber auc in einem Theile der höheren und niederen, mit Widerwillen ertragen wurde. Murat glaubte, daß, wenn er an der Spibe eines regelmäßigen Heeres ſich dem italieniſchen Volke zum Befreier anbot, die vielen alten, in den Napoleon’ ſchen Kriegen ausgebildeten und jeßt entlaſſenen Soldaten ihm zuſtrömen, und die Maſ=z ſen mit ſich fortreißen würden. Das Unternehmen war ſhwierig, und das Gelingen ſehr zweifelhaft. Aber Murat's Ueberſchäßung ſeiner Streitkräfte und ſeine Ungeduld, es zu einer Entſcheidung zu bringen, veranlaßte ihn überdies zu einer zu frühen Schilderhebung, ehe Napoleon noch ſelbſt zum Kampfe gerüſtet war, wodurch er die ohnedies geringen Ausſichten auf Erfolg vollends verlor.

Auch Murat hatte, wie Napoleon, große Hoffnungen auf die angebli< auf dem Wiener Kongreß herrſchende Uneinigkeit gegründet. Um einen Vorwand zu militairiſchen Operationen zu haben, verlangte er von Oeſterreich die Erlaubniß zum Durchmarſch dur Oberitalien , um die in Savoyen ſtehenden Truppen Ludwig XVIII. anzugreifen, deren Be= ſtimmung gegen ihn er fannte. Zu dieſem Korps gehörte das Regiz ment, das unter Labedoyere nict lange darauf bei Grenoble zu Napoleon

überging. Als Murat ſeines Schwagers Landung in Frankreich er=Bed>er, Weltgeſchichte. 8, Aufl. XVT. 19