Geschichte der neuesten Zeit 1789 bis 1871

302 Neueſte Geſchichte. 2. Zeitraum.

Zuruf gelobten , für ihn ſterben zu wollen. In dieſem Augenbli> bra anch unter den, von dieſer entflammenden Stimmung der Soldaten mit ergriffenen Zuſchauern auf den Raſenſtufen ein unermeßlicher Jubel aus. Napoleon ſtieg ſodann langſam die Plattform der Pyramide hinauf , legte wiederum das weiße mit goldenen Bienen geſti>te Gewand an, ſetzte ſich auf den Thron, und überſah von da aus zum leßtenmal ſein Reich, von dem er mit dieſer glänzenden Feierlichkeit für immer Abſchied nahm. Im Grunde beſtand dieſes Reich nur noch in deſſen officiellen Vertretern, unter denen er ſih wiederum nur auf das Kriegsvolk unbedingt verlaſſen konnte. Alles Andere war unſicher und ſ<wankend geworden.

Dieſes Feſt, das durc die Perſönlichkeit Napoleon's, wie Alles, was von dieſer berührt wurde, eine Bedeutung erhielt, war auf den Gang der Ereigniſſe ohne Einfluß. Die höheren und mittleren Klaſſen der Natiov wurden dadurch zu keiner größeren Anhänglichkeit für ihn , und das Volk zu keiner lebendigeren Bereitwilligkeit, ſi für ſeine Sache zu opfern, ver= anlaßt. Selbſt die Zuſchauer , die Soldaten ausgenommen, ſahen darin nur ein großes Schauſpiel , und für dieſe leßteren hatte nur die Aus= theilung der Fahnen und die martialiſche Anſprache ihres Kaiſers einen Sinn gehabt. Alle übrigen Ceremonien waren für ſie leeres Beiwerk ge= blieben. Die Menge war übrigens zu dieſer Feierlichkeit nicht gerade von bloßer Neugierde — denn Napoleon erregte ſelb damals, wo ſein Glü8= ſtern ſichtbar zu erbleichen anfing , ein höheres Intereſſe — ſondern von dem dunkeln Vorgefühl hingezogen worden, daß es ſich dabei um den An-= bli> einer großen, Alles überragenden geſchichtlichen Perſönlichkeit handelte, die bald für immer zu verſchwinden beſtimmt war, und deren. Bild man no einmal dem Gedächtniß einprägen wollte.

Einige Tage nah Abhaltung des Maifeldes traten die Kammern zuſammen. Napoleon hoffte , daß die Repräſentanten ſeinen Bruder Lucian zu ihrem Präſidenten wählen würden. Derſelbe hatte von ſeinem kaiſer= lichen Bruder nicht nur keine Krone angenommen , ſondern ihm zu einer Zeit , wo Alles zu deſſen Füßen lag, ſogar widerſtrebt , und ſich zulebt von ſeiner Botmäßigkeit durch die Flucht befreit. Indeſſen wurde ihm Lanjuinais , der Freund der Girondiſten und ihr und Ludwig XT. Ver= theidiger im Konvent, vorgezogen. Man wußte von Lanjuinais, der im Herzen immer ein Republikaner geblieben, daß er, wenn die Monarchie nothwendig geworden, lieber die Bourbonen als die Napoleoniden an deren Spitze ſehen wollte. Nächſt Lanjuinais hatte de la Fayette die meiſten Stimmen gehabt. Napoleon fühlte dieſen ihm und ſeiner Familie ver= ſezten Schlag, mußte aber ſeinen Unwillen verbergen. Nur im Geheimen