Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

denschaftselementen drückt sich das Dramatische dieses Blickes aus, während das gänzliche Fehlen dieser Außenspannung des Lidbogens die Augen des dritten Bildes völlig nüchtern und rationalistisch macht, im ersten Bild aber ihre gemäßigte Form sanfteren Gefühlen ohne Angriffstendenz Spielraum läßt. Die Betrachtung der übrigen Züge dieser drei Bilder wird später den Eindruck bestätigen, daß es sich im ersten Bild um den Jüngeren Lyriker, im zweiten um den reifen, weltgewandten Dramatiker handeln könnte, während uns das dritte, an dessen Echtheit wir daher zweifeln müssen, ein Unding von pastoralem Sittenprediger vor Augen stellt, das unserer Vorstellung von Shakespeare ebenso zuwiderläuft, wie das zweite Bild mit ihr übereinstimmt.

6. Niemand wird zweifeln, daß Goethe auf dem Bild von Kügelgen (II, 4) wirklich etwas Konkretes anschaut. Die Augen des Arbeitslosen (XVT, 1) dagegen, so offen sie auch sein mögen, starren ins Leere, sie sehen nichts vor sich, daher der Ausdruck der Hoffnungslosigkeit. Wir staunen darüber, daß das offene Auge so Entgegengesetztes auszudrücken vermag: einmal die Welt als All und einmal das Nichts. Woher diese Gegensätzlichkeit? Das offene Auge bedeutet auf jeden Fall Lockerung des Kontakts mit dem Einzelgegenstand: das kann Wegfall des Kontakts überhaupt (Kontaktlosigkeit), aber auch Kontakt mit vielen Gegenständen zugleich (umfassenden Kontakt) bedeuten. Sogar auf dem Bilde des StraRenkehrers (XVI, 3) ist der volle Kontakt mit einer umfassenden Welt unverkennbar und bildet als Ausdruck der Hoffnung und (in Verbindung mit dem aufwärtsgerichteten Blick) des Idealismus einen noch wirksameren Kontrast zu dem im übrigen so wesensverwandten Arbeitslosen. Daß das eine Mal Weite des Blickes ausgedrückt wird und das andere Mal seine Leere, das kann nur an bestimmten Momenten liegen, welche Kontakt herstellen und die das eine

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