Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Zentrum wir nicht kennen. Die Fortpflanzung der Spannung auf Nachbargebiete führte schon Darwin zum dritten seiner Prinzipien. Wir sprachen bereits von der Spannung wie von einer Welle, die von irgend einem Zentrum, z. B. von den Augenlidern ausgeht und ihre Kreise bis etwa in die Stirn zieht. Immer aber war es eine oberflächliche Welle und auch ihr Zentrum war von außen sichtbar. Hier jedoch, bei den in die schwere Aufgabe vertieften Kindern (T, 5), nehmen wir nur die Wellenspuren wahr, d. h. die gespannte Haltung und feste Richtung, die Augen selbst aber sind fast verschlossen und spannungslos. Wir fühlen, daß das Zentrum dieser Spannung in der Tiefe zu suchen ist, auch in einer räumlichen Tiefe. Schon einmal, bei einem abgedeckten Blick, der versteckte Beobachtung ausdrückte (Tabelle 6, Fig.4), folgten wir den Spannungswellen in die Tiefe, aber nur in tiefere Schichten des optischen Apparats selbst, denn es betraf Kontaktmomente des Auges. Hier aber handelt es sich um ein Kontaktmoment in zentraleren Schichten des Gehirnes, um ein Kontaktmoment der Aufmerksamkeit. Wir erkennen, wie die Kinder sich auf ihre Aufgabe konzentrieren, So wird denn die Verhängtheit ebenso zum dynamischen Begriff wie die Abgedecktheit. Es können Augen verhängt sein, und zwar der Lideinstellung nach verhängt sein, obwohl sie ziemlich weit offen sind. Cosima Wagner (Fig. 20) träumt sozusagen mit offenen Augen. Wohl steht der Inhalt ihres Lebens, ihr Gatte, das neue Festspielhaus, unverrückbar vor ihren Augen und müßte diese eigentlich weit öffnen; allein der Abschied von der Triebschener Idylle und das Vorgefihl nahenden Verlustes überwältigen sie und täuschen sie nicht über die Vergänglichkeit ihrer Vision hinweg. Schlaff und matt hängen daher auch hier die Augenlider, aber relativ schlaff, schlaffer als es einer wirklichen Vision bei dieser Öffnungseinstellung entsprechen würde.

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