Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Allerdings wurde schon hervorgehoben, daß realistische Dichter und bildende Künstler oft gerade den verstärkten Kontaktblick zeigen, in der Abdeckung der Lider wie in der Konvergenz der Augachsen. Das besagt aber auch hier nicht, daß der Dichter die Vereinzelung des Gegenstands betonen wolle, nein, nur seine unverlierbare Einmaligkeit, weitab vom Typischen, von jeder „Idealisierung“, die schließlich die Projektion ins Unendliche mit sich bringt (Wedekind VIII, 5).

Der physiognomische Unterschied zwischen parallelen und konvergenten Augachsen wird ganz deutlich, wenn wir neben das Porträt Goethes etwa das seines Sohnes August (II, 6) halten: auch hier offene Augen, also höchst empfängliche Einstellung; aber die Augachsen sind konvergent und nicht parallel. Dieser Blick bleibt am Einzelgegenstand hängen; sein Träger nimmt zwar die Welt in sich auf und freut sich ihrer, aber er fängt sonst nichts mit ihr an, er gibt ihr nichts wieder, er ist nur rezeptiv und nicht auch produktiv. So wird die Augachseneinstellung zum Maßstab der Gestaltungskraft. Da die Konvergenz die Kontakteinstellung der Augachsen ist, verbindet sie sich gern mit dem andern Kontaktmoment der Abgedecktheit der Lider und verstärkt dadurch noch den Kontakt: Unser Modell Michaela vor 10 Jahren (IV, 1), Baldwin (XIV, 5) (Suggestion), Zwei junge Herzen (XI, 3) (Koketterie).

Hingegen findet sich der Blick in die unbestimmte Ferne häufig beim offenen Auge, in besonderer Eindringlichkeit bei Goethe (II, 15). Aber auch unserm Modell (IV, 2) steht er nicht übel und ist ein (in unsrer Probeanalyse noch unberücksichtigtes, weil von unsren ungeschulten Augen noch nicht erschautes) Zeugnis des Wachsens der Persönlichkeit über IV, 1.

Nichtsdestoweniger sind die beiden Kontaktmomente nicht

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