Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Wert unsrer Resultate mit angemessener Vorsicht abzuschätzen und danach unsre Arbeitsw eise einzurichten. Es bleiben also noch immer Schwierigkeiten der Methode selbst und ihrer Anwendung durch den Physiognomiker.

Die erste dieser Schwierigkeiten knüpft noch an die Form der Darstellung an. Von Zeit zu Zeit wird der Einwand laut: Aus einem Bild kann man nichts beweisen, denn wer weiß, ob es wirklich porträtgetreu ist?

Hier ist ein wichtiger Unterschied festzuhalten. Wenn jemand die Charakterbeurteilung nach dem Porträt einer wirklichen Person verlangt, so ist Porträttreue selbstverständlich die erste Voraussetzung. Nicht notwendig ist diese Treue jedoch dort, wo es sich um bloße Demonstrationszwecke handelt, z. B. in einem Lehrkurs. Ich kann den bitteren Zug des Mundes an einem Phantasiebild, ja einem Schema (Diaz belle 18) ebenso gut demonstrieren wie an einem Porträt (Nansen XII, 4), sonst hätten unsre Tabellenillustrationen samt und sonders keinen Wert.

Ja, wenn die Bedeutung der elementaren Ausdruckszüge einmal, wenn auch in einer gewissen Vieldeutigkeit, feststeht, dann kann man sogar ein Angesicht deuten, das einer völlig unbekannten Person angehört, oder einer, die längst, oder schließlich einer, die überhaupt nie gelebt hat. Es ist einerlei, ob die Zeichnung der drei Schwestern (F. ig. 46) nach der Natur oder nach einem Porträt gearbeitet ist, ob sie davon abweicht oder frei erfunden ist. Eine Kontrolle ist hier freilich unmöglich, aber sie ist auch überflüssig. Denn wenn die angenommenen Grundbedeutungen der Ausdruckszüge richtig sind, muß auch das Endresultat, der Charakter, richtig getroffen sein. Wir gehen hier lediglich gestaltend und aufbauend vor.

Anders liegt die Sache in der praktischen Analyse, die einerseits der wirklichen Charakterbeurteilung dienen, anderseits neue Resultate der Physiognomik liefern soll. Hier ist,

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