Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Die Beweglichkeit einer Sinnespartie ist abhängig von ihrem Bestande an Muskeln. Muskeln sind Stränge aus elastischen Fleischfasern, die sich unter dem Einfluß von Nervenfasern zusammenziehen oder kontrahieren können; dann verkürzen und verdicken sie sich meistens zwischen zwei Enden, deren eines als Stützpunkt (Ursprung), das andere als Angriffspunkt (Ansatz) dient. Der Ursprung ist das relativ unbewegliche Ende, meistens an einem Knochen befestigt, manchmal auch bloß an einer Sehnenplatte (wie z. B. der große Stirnmuskel); die Ringmuskeln der Augen und des Mundes laufen in sich zurück und haben nur an einzelnen Stellen Berührung mit der Skelettunterlage. Der Ansatz ist der beweglichere Teil, jener also, auf dessen Bewegung es eigentlich abgesehen ist. Bei den Sinnesöffnungen ist der Angriffspunkt meistens die Randpartie, d. h. ein Weichteil. Bei der übrigen Muskulatur, z. B. der der Extremitäten, ist jedoch meistens auch der Angriffspunkt ein Knochenteil, denn es soll ja ein Knochen bewegt werden. Doch gibt es auch im Gesicht Muskeln, welche Hebelarbeit zu verrichten haben, z. B. die Kaumuskeln.

Da eine Analyse des mimischen Ausdrucks, besonders bei komplizierten, gemischten Ausdrucksformen, wie sie uns die Wirklichkeit fortwährend zuträgt, unmöglich ist ohne genaue Kenntnis der jedesmal betätigten Muskeln, ist es dringend notwendig, sich mit ihrer Bewegungsweise und Funktion genau vertraut zu machen. Dies ist nicht so schwierig, wie es scheint. Wir müssen uns insbesondere darüber Rechenschaft geben, wo der Ursprung und wo der Ansatz jedes Muskels ist, und deshalb haben wir in unserer Figur 9 den Ursprung, also das ruhende Ende, schraffiert umrandet; die Verkürzung des Muskels und Bewegung des Ansatzpunktes erfolgt in der Richtung auf das schraffierte Ende zu. Dadurch wird z. B. sofort er-

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