Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

zu haben scheinen —, daß auch um die Person Giorgiones, dieses frühvollendeten, kaum 32jährig von der Pest dahingerafften Jünglings, dem Liebe und Schwärmerei noch heute nachzutrauern scheint, so etwas wie ein Geheimnis gewesen sein muß: dies alles hat die Kunstforshung und Künstlergeschichte wohl von jeher geahnt, aber eine zusammenhängende Lösung ist nie angeboten worden. Woher dies auffallende Schweigen der alten Andakdhtsbildgedanken bei Giorgione, der selbst in seiner berühmten Madonna von Castelfranco das Franziskanische mit dem Ritterlichen auf eine so unkirchliche Art verbunden hat!? Woher dies Schwelgen in Daseinsbildern, deren fast heidnisch freies Menschentum doc so feierlich und so bedeutungsshwer berührt? Sind es Wirklichkeiten, diese Urbilder einer menschlichen Gemeinschaft in Weisheit und Liebe, Musik und Natur, sind es idyllische Träumereien oder Andeutungen einer neuen Erkenntnis vom Menschen? Spricht hier nur Sein oder auch Sinn, Erscheinung oder aud Idee?

Man war in der letzten Generation der Kunstforscher Deutungsversuhen philosophischer Art oder im Sinne moderner Stimmungslyrik wenig hold Man war eher geneigt, Kunst und Persönlichkeit Giorgiones gleichsam als eine „Sphinx ohne Rätsel” zu betrachten. Als ein zwar genialer Maler erschien er mit viel Instinkt für das Sinnliche und Lyrische, ein verfeinerter und spröderer Palma, dessen Sprödigkeit aber mehr Befangenheit war als Absicht, weil eben noch das Altertümlihe der Frührenaissance und das Herkommen des Andachtsbildes alten Stils ihn zu fesseln schien. Konnten die Impressionisten, die fachmännishen Bekenner des L’art-pour-l’art-Grundsatzes, die Verächter des „Literarischen” in der Kunst den Lehrer Tizians anders verstehen? Man begeisterte sich wohl für seine malerischen. Mittel, kostete seine archaische Einfalt, studierte seine Komposition, seine Farbe, reihte sie geschichtlich ein in die formale Entwicklung venezianischer Kunst. Man untersuchte das ihm zugeschriebene Oeuvre so peinlich auf Qualität und Echtheit, rief eine solhe Unmenge kennerischer Streitfragen hervor, daß schließlich der gesicherte Umfang des Giorgioneschen LebenswerksaufeinMinimum reduziert wurde, daß die Um-

risse der Gestaltdes Meisters selberbedenklich zu verschwimmen drohten. Was 6