Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

aber das Inhaltliche anging, so waren die Einen geneigt, Giorgione zwar eine neue Selbständigkeit auch in der Erfindung zuzugestehen, aber sie sahen nur ein freies Traumspiel in seinen Motiven, kaum die Entfaltung einer eigenen besonderen Gedanklichkeit — die sie auch als durchaus entbehrlich empfunden haben würden, ja als der Wesensart des Künstlers widersprehend. Die Andern schrieben alles „Literarische” auf das Konto gelehrter, aber einigermaßen kunstfremder humanistischer Berater, Kenner der antiken Sage und Dichtung, Ersinner abstrakter Allegorien, deren Angaben der Künstler jedoch - wohl zum Glück seiner Kunst - meist nur halb verstanden oder bis zur Unkenntlichkeit ins Freiphantastische abgewandelt habe.

Ein bezeichnendes Beispiel für solhe modernen Auslegungen bietet das berühmte große Gemälde der Wiener Staatsgalerie, das wir durch die Abbildung unsern Lesern ins Gedächtnis zurückrufen. Es ist eines der ganz wenigen völlig gesicherten und anerkannten Werke des Meisters und auch darum ein treffliher Ausgangspunkt "unserer Untersuchung. Das Bild wird gewöhnlih „Die drei Philosophen” genannt. Dieser Titel begegnet uns schon bei dem Kunstfreunde Marc Antonio Michiel?), der es IÖ Jahre nach Giorgiones Tode bei Taddeo Contarini in Venedig sah. Später empfand man den reichlich unbestimmten Titel als irreführend. Von „drei Astronomen”, „drei Feldmessern” gar sprach ein rationalistischeres Geschlecht, aucı bei den altvertrauten „Drei Weisen aus dem Morgenlande” beruhigten sich manche, während anderseits die auffallende Typisierung der Altersstufen bei den drei Gestalten zu sinnbildlicher Deutung lockte. Die „drei Lebensalter” wurde das Bild nicht ohne inneren Grund genannt, Hubert Janitschek*) ahnte hier sogar eine Personifikation der drei Weltalter, vertreten durch den antiken Weisen, den mittelalterlichen, arabischen Philosophen und den freien Forscher der Renaissance: Greis, Jüngling und Mann. Kamen solche Deutungen in ihrer oft freilich mehr dem modernen Bildungshorizont entsprehenden Allegorik doch wieder dem frühesten Titel des Michiel näher, so war es einem Vertreter der modernen

philologisch-historischen Methode, Franz Wickhoff°), vorbehalten, Michiel,

7