Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

konsonanten Polyphonie des strengen niederländischen Kirchenstils das Wesen der Harmonie als Selbstzweck ahnungsvoll zu erleben begann. Der neue harmonische Stil, „da man von Akkorden nicht nur Konsonanz verlangte, sondern den Wechsel ihrer Zusammenstellung als eigenen musikalischen Farbwert empfand,” tritt in Gegensatz zu der alten geistlih polyphonen Art, genau wie die neue Farbenharmonie,°?) der neue Formeneinklang Tizians und der venezianischen Hochrenaissance von der verwickelten Umrißweise und derharten Buntheit desnoc halbkirdlich strengen Quattrocento sih abhob. Die neue Harmonie in der weltlichen Musik (mit den dodh halb mystischen Zahlenspekulationen, die man damit verbinden mochte) war die Musik der neuen mehrheidnisch-religiösen Geselligkeitszirkel. Madrigale, gesangloses Instrumentalspiel auf Handorgel, Spinett, Streich-, Schlag- und Blasinstrumenten gaben der neuen Empfindung Ausdruck. „Ihr wäret gut zu unsern Geigerenhie,”schreibtDürerausVenediganPir&kheimer, „diemacens so lieblich, daß sie selbst weinen.” Selbst die alte niederländische Polyphonie wurde bei einem Josquin de Pres und Willaert schon farbiger und weicher in dem bewußt genossenen Zusammenklang erlebt. Ein voll erblühter Naturund Schönheitskultus trat hinzu und auch in den Akademien mischten sich Unterhaltungen über das Wesen der Liebe nach altplatonishem Muster, schwelgerishePhilosopheme desErotischen mit demKultus der harmonischen Musik. So mochte die neue Gesellschaftsmusik in einem durch ästhetischerotischen Kultus gebundenen Kreise gelegentlich wohl als das eigentliche Symbol einer neuen „heidnischen” Natur- und Geistesauffassung gegenüber dem kirchlich gebundenen Denken empfunden werden.

Der Übergang von den sogenannten Akademien zu den freien Künstlergesellschaften und den karnevalistischen Vereinen, so wie sie uns etwa Macdhiavelli beschreibt, ist ein fließender, fließender noch als der Übergang von jenen zu den schwer greifbaren geheimwissenschaftlihen Orden und „chymischen Gesellschaften.” In manchem Künstlerklub mag von allem Rituellen nur der „Comment” zurücgeblieben sein, über dessen eigentlihen Hintergrund keine Klarheit mehr bestand. In andern wieder mag das kultische Element sich mehr in jene erwähnten ero-

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