Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

tisch-platonistisch angehauchten Naturschwärmereien verloren haben, so vielleicht auch in jenen Versammlungen der Gärten von Murano „wo von milden Lüften umweht Nymphen und Halbgötter weilten” und von denen ein Cornelio Castaldi und ein Navagero in Dichtungen und Briefen mit so auffallender Sehnsucht schwärmen. Es ist recht schwer zu entscheiden, ob Vasari in seinem Bericht über die „Gesellschaft von der Kelle” (Compagnia della Cazzuola)in der Lebensbeschreibung desRustici alsAußenseiter, der er war, über das wahre Wesen dieser Gemeinschaft getäuscht worden ist, oder ob es sich tatsächlich nur um eine phantastische Geselligkeitsform handelte, die das esoterische Ordenswesen höchstens noch parodierte. Ludwig Keller meinte das erstere. Auf jeden Fall aber verrät der Bericht Vasaris aufs deutlichste, daß in solchen Gesellschaften ein logenartiges Ritual, eine logenartige Symbolik, die Einweihungszeremonien wirklicher Geheimbünde nachklangen, daß solche also existiert haben, sei es nun mehr in der Form der chymischen (hermetischen) Gesellschaften oder der neuplatonisch gefärbten Akademien.

In der genannten Biographie erzählt uns Vasari von zwei geschlossenen Künstlersozietäten. Die eine war die „Gesellschaft vom Kochtopf” genannt — Andrea del Sarto, Puligo und andere waren ihre Mitglieder. Die andere hatte jenen Beinamen „Zur Kelle”. Bei der ersten scheint es sich wirklich, wie Vasarimeint, um eines der vielen lustigen Künstlerkränzchen gehandelt zu haben, das aber nur zwölf Mitglieder aufnahm, wie Artus’ Tafelrunde, und dasein verwiceltesTischritualbeiden Mahlzeitenbesaß. Merkwürdigeristder Bericht über die zweite Vereinigung. Schon der Titel „Zur Kelle” wird den mit der maurerischen Tradition Vertrauten aufhorchen lassen und die Anekdote, mit der uns Vasari die Entstehung dieses Taufnamens erklären will, klingt unglaubwürdig (man hatte ihm offenbar einen Bären aufgebunden). Die Gesellschaft nahm im ganzen zweimal zwölf Mitglieder auf, zwölfbildeten die Maggiori, zwölf die Minori, Ausdrücke, die — bezeichnenderweise — dem alten Zunftwesen von Florenz entnommen sind, in dem sich die sieben oberen Zünfte als die „Maggiori” bezeichneten; außerdem hatten sie einen dritten vorbereitenden Grad der sogenannten „Adherenti”. Maggiori und Minori

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