Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

führten das Wahrzeichen der Kelle, ihr Schutzpatron war derselbe heilige Andreas, welcher heute noch in den schottischen Hochgraden gewisser Systeme eine Rolle spielt; sein Namenstag ward feierlich begangen. Vasari berichtet nun für den, der, wie er sagt, „den Brauch dieser Gesellschaften, die heute fast gänzlich abgekommen sind, nicht kennt”, einiges über die Feste der Gesellschaft, wobei aber zu bedenken ist, daß ihm natürlich nur von den mehr in der Öffentlichkeit begangenen Feierlichkeiten berichtet worden sein mag. Von einem Feste wird gesagt, daß sich jedes der 24 Mitglieder besonders zu verkleiden hatte (bestraft wurde, wer dasselbe Maskenkleid trug) und daß man die schönsten, seltsamsten und phantastischsten Kostüme zu sehen bekam. Bei einem andern Mahle erschienen die Mitglieder alle in der Tracht von Maurern und Gesellen, die Maggiori mit Kelle und Hammer im Gurt, die Minori als Handlanger ohne den Hammer. Was Vasariim übrigen von den sonderbaren teilweise burlesken, teilweise schauerlichen Aufführungen und Phantasmagorien erzählt, mit der die Maurer ihre Mahlzeiten einkleideten, möge man selber nachlesen. Manches davon trägt den Charakter von Aufgaben und Prüfungen, in denen eine gewisse Unerschrocenheit zu beweisen war, oder wobei gewisse Mahnungenerteilt wurden — bevor sich alles harmlos auflöste. Immer wird ein großer Apparat von verschiedenen vielfältig hergerichteten Kammern und Räumen benutzt, die die Mitglieder zu durchwandern haben. Bemerkenswert ist, daß eine ganze Reihe von Malereien mythologischen und allegorischen Inhalts erwähnt werden, die für derartige Gelegenheiten gefertigt wurden und die verschiedene Versammlungsräume verzierten. Das ganze mutet wie ein mehr ins Maskeradenhafte einer barocken Künstlerlaune entartetes Nachbild eines entwickelten Ordenswesens mit Mysteriencharakter an. Freie Künstlerphantasie hat die ursprünglich festen Sinnbilderund Einweihungsbräuche spielend aufgelockert und durch willkürlihe Erfindungen ersetzt, auch den Bräuchen einen mehr heiteren Sinn verliehen — ohne doch den ursprünglichen Charakter ganz verwischen zu können.

Am Fondaco dei Tedeschi, wo bekanntlich Giorgione und Tizian große heute ganz verwitterte Außenwandmalereien geschaffen haben, sieht

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