Giorgiones Geheimnis : ein kunstgeschichtlicher Beitrag zur Mystik der Renaissance

auch das strahlende Licht, das aus dem Innern bricht, nicht als Feuerschein, sondern als Glanz. Hier also im Innern vielleicht der Aufgang, die Rettung? Von den beiden Frauen, die fast nackt am Ufer vor dem Eingang liegen, könnte man meinen, daß sie sich schwimmend über den Fluß gerettet haben, den auch in der Ferne einige Kähne zu passieren suchen. Noch sind sie nicht im Innern des Tempels, aus dem das Licht kommt, noch wirft den Schlafenden die aufgeregte Flut allerlei schlimmes dämonisches Getier nach. Aber das „andere Ufer” haben sie erreicht; vor dem noch geschlossenen Tempel, im Schutze der Säule, können sie ruhen, und weder des Feuers noch des Wassers brauchen sie zu achten. —

Dies alles wäre verständlicher, wenn wir wüßten, wie Giorgione die beiden nackten Frauen gedeutet wissen wollte. Wären es Mann und Weib, das Menschenpaar, so läge die Deutung näher. Sollte Marc Anton, der Stecher, seine Vorlage hier falsch verstanden haben ? Vielleicht ist ein anderer Ausleger, unser Wegsuchen weiter verfolgend, glücklicher als wir. —

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