Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten, str. 272

dieſe Axt einen unblutigen Sieg errungen, an deſſen praktiſhe Ausnübung ſie jet herangingen. Milan Obrenowitſ< {wur momentan nur auf drei Dinge: den Krieg, wiederum den Krieg, und abermals den Krieg. Die ſerbiſche Regierung beſhloß daher niht abzurüſten; im Gegentheile wurden die Kriegsrüſtungen eifrigſt fortgeſetzt.

T\chernajeff’s Wunſch, 125.000 Mann JFufanterie und 4000 Reiter ſchlagfertig zu ſehen, ſollte realiſirt werden. Man hoffte binnen einigen Tagen alle drei Claſſen der Miliz auf den Beinen und in voller Ausrüſtung ſtehen zu ſehen, ſodann würde die Armee des Fürſtenthums dieſe Stärke erreiht haben. Derſelben ſollten au< zweihundert Kanonen zur Verfügung ſtehen. Auch der Mangel an Offizieren war behoben worden, nachdem in den leßten drei Wochen etwa 95 Unteroffiziere Offiziershargen erhalten hatten. Bis zum 28. Juni ſollte thalſächlih die Armee auf den Grenzen in vollſtändiger Zahl zuſammengezogen ſein,

Den Feldzug zu beginnen, war aber die fürſtliche Regierung nicht früher geneigt, bis niht Herr Philipp Kriſtics (ein Schwager des Miniſters Riſt ics), welcher in Betreff von Verhandlungen wegen türkiſcher Grenzverleßzungen, namentli<h über die DrinaJuſeln, in Conſtantinopel ſih befand, zurücgekehrt ſein würde. Es war zwar vollkommen richtig, daß ſi<h die Friedenspartei im Miniſterrathe in einer winzigen Minderheit befand, denn nur Riſtics und ſein Schwager“ Milojekowitſ<, der Miniſter des Juneren, ſprachen dem Frieden das Wort; dagegen waren alle anderen fünf Miniſter, der Cultusminiſter Waſſiljewitſ<, der früher ein eifriger Apoſtel des Friedensgedankens geweſen, niht ausgenommen, entſchieden für den Krieg. Man hoffte, der Fürſt werde ſi< für die Mehrzahl erklären und dann ſollte der erſte Kanonenſchuß an der Drina abgefeuert werden. So lautete denn bis zum Reſultate der Kriſtics{<en Miſſion die Parole: „Volle Schlagfertigkeit, aber kein Krieg!“

Zur vollen Schlagfertigkeit gehörte aber auch Geld und da man dieſes niht in Serbien auftreiben konnte, ſu<hte man es außerhalb des Landes aufzubringen. Die Serben in Süd-Ungarn erklärten: „Da wir Anno 1848, als wir gegen

Zimmermann, Geſch. des orient. Krieges

General Zad.

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die Magyaren kämpften und unſer Blut verſprißten, von ſe<8tauſend Serbianern unterſtüßt wurden, ſo fühlen wir uns verpflichtet, jebt, wo Serbien an unſere brüderlihen Gefühle appellirt, Euch mit Gut und Blut beizuſpringen.“ Thatſächlih waren bereits mehrere Freiſhaaren aus Süd-Ungarn angelangt und eine reſpectable Summe Geld wurde aufgebra<ht. Es war zu erwarten, daß, nah der herrſhenden Stimmung unter den ungariſchen Serben ohne Unterſchied der Partei, die geſammte waffenfähige Jugend der dortigen „Brüder“ ſi< zur Verfügung Serbiens ſtellen würde; es war ſogar Thatſache, daß jenſeits der Donau und Save eine höher g ehende und mächtigere Kriegsbegeiſterung herrſ<hte als ſelbſt in Serbien.

Belgrad, die gemüthlihe Stadt, war ver\{<hwunden und nur ein großes Kriegslager geworden, Die -Bürger hatten die Civilkleider mit dem - Waffenro>ke vertauſcht, es wurde in einemfort exercirt, lange Wagenreihen mit Munition bede>ten die Straßen, Ordonnanzen eilten hin und her, Batterien wurden zuſammengeſtellt, Zelte eingepackt u. ſt.w. u. \. w. Man war überzeugt, daß in zehn bis vierzehnTagen — wenn Kriſtics niht bei der Pforte reuſſirt haben ſollte — alle Männer zur Grenze abgegangen ſein würden. Der Fürſt ſollte ſi<h am 26. Funi dahin begeben. Die erwartete Kriegs8-Proclamation ſollte aber jedenfalls erſt beim Ueberſ<hreiten der Grenzen erlaſſen werden, denn es war beſtimmt, in Bosnien, Bulgarien und AltSerbien gleichzeitig einzubrechen.

Die Großmächte hatten jeden moraliſchen Dru> zu Gunſten des Friedens aufgegeben. Nur erklärten ſie, ſie würden dem ſferbiſch-türkiſchen Duelle gegenüber neutral ſi< verhalten — was in Belgrad mit heller Freude aufgenommen wurde, da die Serben ſeit dem Fahre 1863 ſtets dahin geſtrebt hatten, die Großmächte für eine ſolche Politik «zu gewinnen, die unter Türken wie Chriſten Wind und Sonne gleihmäßig vertheilen würde. Was man alſo an gewiſſen Orten als Drohung ausſtieß, war in Belgrad als Hoffnung auf Erfolg aufgefaßt worden. Wenn Serben, Bulgaren, Griechen, Zinzaren, Ruſſen (in der Dobrudſcha gab es deren 25.000 Starowerzen,

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