Marxismus und Darwinismus

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ungünſtigen Umſtände, wodur<h eine ſo große Anzahl kräftiger, lebensfähiger Keime, oft die lebensfähigſten, zugrunde geht.

Es konnte alſo den Sozialdemokraten nicht ſhwer fallen, die Unhaltbarkeit jener Anwendung des Darwinismus auf die Geſellſchaft na<hzuweiſen. Es waren aber niht nur die Sozialdemokraten, die ſich gegen die Beweisführung der Bourgeois-Darwiniſten erhoben. Denn dieſe Beweisführung war niht bloß eine Verteidigung der bürgerlichen Geſellſchaft, nein, ſie war die Verteidigung des brutalſten Ausbeutertums, des rücſihtsloſen Niedertretens alles Schwachen. Gewalt iſ Recht, das war der Jnhalt dieſer Lehre, der Erfolg beweiſt die Vollkommenheit. Sie war nicht nur gegen den Sozialismus, ſondern auh gegen alle Sozialreform und alle Philan= thropie gerichtet, die ſi< bemüht, das ſ{hlimmſte Elend und die auffälligſten Mängel unſerer Geſellſchaft8ordnung zu lindern. Deshalb traten die Sozialreformer und die Philanthropen, die ethiſ<h angehauchten Bourgeois gegen ſie auf. Sie hatten um ſo mehr Grund dazu, als jene Lehre im Grunde für die bürgerliche Geſellſchaft ſelbſt ſehr gefährli<h war. Denn ſchon trat das Proletariat auf, das ſein Recht auf ſeine ſteigende Macht gründete. - Daher mußten alle, die von dem Machtkampf nichts wiſſen wollten und das Proletariat mit einem verbeſſerten Kapitalismus auszuſöhnen ſuchten, die Lehre der Bourgeois-Darwiniſten bekämpfen.

Sie betonten dabei natürlich vor allem die ethiſhe Seite der Frage, worin ſie von den ethiſchen Sozialiſten, denjenigen, die den Sozialismus auf die Ethik gründen wollen, unterſtüßt wurden. Sind die Eigenſchaften, die den Sieg in dem fapitaliſtiſhen Konkurrenzkampf ſichern, auh diejenigen Eigenſchaften, deren Stärkung man im Jntereſſe des Fortſchritts wünſchen muß? Nein, gerade umgekehrt! Schlauheit, Rückſichtsloſigkeit, Betrug, darin beſteht die „Geſchäftstüchtigkeit“, die in der Geſchäft8welt zum Emporkommen befähigt. Jn dem heißen Konkurrenzkampf wird \<ließli< jedes Mittel, das gerade am Zuchthaus vorüber führt, angewandt, und das Strafgeſeybuch wird zum alleinigen Maßſtab des fittli<h Erlaubten. Der kapitaliſtiſche Kampf ums Daſein führt niht zum Sieg der Tüchtigſten im moraliſchen Sinne; daher iſ auch keine moraliſche Verbeſſerung, ſondern eher eine Verſchle<hterung der Menſchheit ſeine Folge. Aber gerade deshalb müſſen die Menſchen in dieſen Kampf eingreifen. Der Kampf ums Daſein darf in der menſchlichen Geſellſchaft nicht nah den rohen, ſ<honungsloſen Prinzipien der Tierwelt geführt werden. Der Menſch iſt keine Beſtie. Als freies, ſittlihes Weſen, das ſih höhere Ziele ſeht, muß er das zügelloſe Walten dieſes Naturgeſeßes aufheben. Er kann den Kampf mildern und eine vernünfſtige, moraliſche Weltordnung an die Stelle dec tieriſchen ſehen.

Zu dieſer legten Auffaſſung iſt zu bemerken, daß von einer Aufhebung eines Naturgeſeßes natürli<h niht die Rede ſein kann. Die Anſchauung, das Geſeß darf niht gelten, weil es unſeren ſittlihen Empfindungen wider\pricht, hat gegenüber einem wirklichen Naturgeſeß keinen Sinn. Man hat nur zu erforſchen, ob und in welchem Maße es unter verſchiedenen Bedingungen gilt. Und in dieſem Punkte hat ſi< nun zur Genüge gezeigt; daß die fkritikloſe Uebertragung der Darwinſchen Prinzipien auf die Menſchen= welt zu fehlerhaften und irrigen Schlüſſen führt. |