Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

— 147 —

und Wiederholungen vermeiden, die Jedermann ermüden. Vor Allem darf ſie ſi in nichts miſchen, was ihr Amt nicht von ihr fordert: ſollte aber Jemand ihren Rath begehren oder ihre Meinung in einer Sache wiſſen wollen, dann muß ſie unverzagt und ohne Scheu ſagen, was ſie füx recht hält. Ferner ſei es ihr eine Regel, über Kleinigkeiten nicht viele Worte zu machen und nicht leiht etwas übel zu nehmen; denn wenige Menſchen in der Welt bereiten oder ſagen Einem mit Abſicht Unannehmlichkeiten; wenn uns indeß einmal ſolche begegnen, ſo muß man ihr Thun oder Laſſen verachten und vergeſſen, oder es gar nicht beachten.

Mit ganzem Herzen und ganzer Seele muß ſie der Fünſtin ergeben und zugethan ſein, bei der ſie iſt. Jſt dieſelbe jung, ſo muß ſie mit Sorgfalt ihre Jugend und Unerfahrenheit behüten, ihr ohne Strenge und mit Ehrerbietung allzeit die Wahrheit ſagen und ſie erinnern, daß ihr Beiſpiel in Betreff dex Moral und dex Sitten ſicher iſt, nahgeahmt zu werden. Sie muß gegen ihre Gebieterin höflich, artig und ehrfurhtsvoll ſein, niht vorgreifend noh anmaßend, aber auh wiſſen, was ſie ſih ſelbſt ſhuldig iſt. Zurückhaltend, nicht viel ſprechend, ſich keine unpaſſende, ausgelaſſene Heiterkeit exlauben oder gedankenloſe triviale Bemerkungen, aber bemüht ſein, wenn es dex Augenbli> verlangt, eine angenehme Converſation zu machen. Und auh bei dieſer muß ſie immer bedacht ſein, den Reſpekt gegen die Fürſtin niht zu vergeſſen, den ſie ihr ſchuldig iſ, und ſi ganz ebenſo gegen Untergebene weder Mangel an Rückſicht noch eine zu große Vertraulichkeit geſtatten.

* *

*

LO