Neunundsechszig Jahre am Preussischen Hofe : aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin Sophie Marie Gräfin von Voss : mit einem Porträt in Stahlstich und einer Stammtafel

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Die Kronprinzeſſin hatte einen wunderſchönen Wuchs, ihre Erſcheinung war zugleich edel und Lieblich, jeder der ſie ſah, fühlte ſi< unwiderſtehli<h angezogen und gefeſſelt.

Als die Zeit der großen Hof-Feſte vorbei war, geſtaltete ſich das Leben an unſexem Hof ſo gemüthlih, wie der Kronprinz es liebte, ſelbſt während des Carnevals wurden nur die Courtage bei den beiden Königinnen eingehalten, im Uebrigen lebten die jungen Herrſchaften häuslih und glücklih für ſih. Der Prinz Louis und ſeine Gemahlin wohnten in dem kleinen Palais, neben dem unſrigen, und lebten im zärtlichſten Verein mit ihren älteren Geſchwiſtern, bald waren iir drüben bei ihnen, oder ſie bei uns, abex immer wax man beiſammen. Nux einmal ſchien ein fremder, unheiliger Einfluß ſich Eingang in das heitere, unſhuldsvolle Familien= leben zu verſchaffen. Es wax im Februar und März jenes erſten Winters, als das ſtürmiſche Gemüth des Prinzen Louis Ferdinand einen Augenbli> Einfluß auf den fromuien, edlen Sinn der Kronprinzeſſin zu gewinnen verſuchte, Da ſie es ihm unmöglih machte, ſi ihr zu nähern, ſo trachtete er, dies auf einem Umweg zu erreichen. Ex begann damit, die junge Prinzeſſin Louis für ſi< zu gewinnen und das wurde ihm leiht. Erſt 15 Jahre alt und in keiner Weiſe ihrer fürſtlichen Schweſter ähnlich, entbehrte ihr Weſen den Ernſt, die Tiefe und das ſtrenge Pflichtgefühl, das jene erfüllte, vor Allem war ſie der Schmeichelei ſehr zugänglich; auh war ihr Gemahl vielleicht ſelb zu jung, um ein re<ter Führer für ſie zu ſein. Der Kronprinz dagegen war ein wahrer Freund ſeiner Gemahlin, und das von Anfang an; er ſelbſt ſo ſtreng und untadelhaft in jeder ſeinex