Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

170 Das Herzblättchen.

Einmal ſchrieb Helene gax, daß ſie ſich krank im Herzen fühle, und unnennbare Sehnſucht habe na<h dem freundſichen väterlichen Hauſe. Das ſ{<nitt dem alten Manue tief in die Seele. Von dem erſten Athemzuge ſeines Kindes hatle er Schmerz und Mühe um daſſelbe gehabt, aber ex hatte ja Alles gern gethan, nux um ſie glü>lich zu ſehen. Nun hatte er geglaubt, ſie endlich in einem geborgenen Hafen zu wiſſen, und ſtatt deſſen war ſie krank im Herzen. Helene glich infolge der Verzärtelung einer zarten Biume, die dahin welkt, wenn rauhe Stürme ſie umtoben, das wußte der alte Mann wohl. Sie ſchrieb ihm gewiß nuo< nicht Alles, und ex machte ſich nun no<h mehx Sorge über das, was ſie ihm verſchwieg, als über das, was ex bereits wußte.

Dex alte Mann litt unbeſchreibli<h und ſank ordentlich in ſich zuſammen, ſeine Haare färbten ſi<h ſ<hneeweiß und in ſeinem Geſicht bildeten ſich tiefe Furchen, ſo daß die Bekannten, wenn ſie ihn unvermuthet auf der Straße trafen, ihn anhielten und erſhro>ten meinten, ex habe ſi ja zum Nichtwiedererkennen verändert.

Auch in die Stadt drangen die Gerüchte, daß es mit Helene und ihrem Glü> nicht beſonders gut ſtehen ſolle. Man munkelte dies und jenes, aber Niemand wagte, den gebrochenen alten Mann, welchem der Schmerz nux zu deutlich auf der Stirne geſchrieben ſtand, direkt zu fragen. Aber dafür ſprach man anderes lauter und ungeſcheuter. Da hieß es, mit dem Vermögen Meiſter Müllers ſolle es nicht mehr ſo gut und ſicher ſtehen wie früher, ja, auf ſeinem bisher ſchuldenfreien Hauſe wären gar zwei Hypotheken eingetragen.