Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens : mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und Gelehrten. Bd. 12.

Novelle von G, Höcker, 1)

Die Kranke ſchüttelte leicht das Haupt.

„Bitte, bitte, erzähle!“

Dex Alte legte no< inniger und behutſamer das Haupt ſeines kranken Kindes auf den Arm, und da ex es von jeher gewöhnt war, jedem Wunſche ſeines Lieblingskindes willenlos na<hzugeben, begann er das Märchen vom Sonnen= ſtrahl. Eifrig erzählte er, gerade ſo, wie er es in HeTenchens Kindertagen gewohnt geweſen. Und die Kranke hatte ihr Haupt an ſeine Bruſt gebettet und horchte regungs= los zu. :

Endlich war der alte Mann mit ſeinem Märchen zu Ende, die Augen waren ihm darüber ſelbſt feucht gewor= den. Jeht ſchaute er auf ſein krankes Kind. Die ſchönen blauen Augen waren geſchloſſen und das Angeſicht war entſeßli<h blaß.

„Sie ſchläft,“ ſagte ex leiſe und bettete das zarte Haupt behutſam auf die Kiſſen. Dann ſ{li< er ſich leiſe aus dem Zimmer, um den Schlummer ſeines Sonuenſtrahls niht zu ſtören. Aber Slunde auf Stunde verfloß und Helene wachte niht wieder auf. Endlich wurde der alte Mann unruhig und ſ{<hli< zu dem Krankenlager ſeines Kindes zurü>.

Sie lag noh immer, wie er ſie vox Stunden gebettet hatte. Da faßte den alten Mann mit einem Male eine fürchterliche Angſt, er beugte ſich ganz dicht nieder bis zum Munde ſeines Kindes und horchte angeſtrengt. Eine Müte ſummte durch die Todtenſtille des Gemaches und dem alten Manne wollte es ſcheinen, als ob ihr Flügelſ<hlag dem rollenden Donner gliche. Dann hörte er ſein eigenes Herz